Kennst du das Gefühl, in einem Raum zu sein und trotzdem nicht gesehen zu werden?
Du sagst was, und niemand reagiert. Zwei Minuten später wiederholt ein Kollege denselben Satz, Applaus.
Als wärst du das Vorprogramm. Warst du aber nicht. Du warst die Hauptattraktion, nur hat dich keiner angesagt.
Willkommen in der unsichtbaren Liga der Frauen.
Bilden wir uns nur ein unsichtbare Frauen zu sein oder ist da was dran?
Frauen ab 40 kennen das Spiel: Je mehr Erfahrung, desto stiller wird’s um uns.
Im Job. Im Supermarkt. Beim Arzt. Wir sind da – aber niemand schaut hin.
Und die Sichtbarkeit nimmt nicht nur ab, sie kippt.
Ab einem gewissen Alter werden Frauen in Film, Fernsehen, Werbung kaum noch gezeigt, es sei denn, als Mutter, Großmutter oder Klischeefigur.
Unsere Figur ist nicht mehr die einer 20-Jährigen. Da sind Falten, da ist Leben im Gesicht.
Und genau das wird zum Problem. Für die Gesellschaft. Nicht für uns.
Dabei sind es gerade Frauen ab 40, die beruflich durchstarten, gründen, neu anfangen, Familie stemmen und Verantwortung übernehmen. Sichtbar sein? Sollte Ehrensache sein. Stattdessen: Nebel.
Das ist kein Bauchgefühl. Das ist System.
Studien zeigen: Männer reden in Meetings rund 20 % mehr als Frauen – und unterbrechen sie deutlich häufiger (Time Magazine). Schon in der akademischen Ausbildung beginnt dieses Ungleichgewicht (Nature). Frauenstimmen werden im Durchschnitt leiser wahrgenommen, weil sie höher sind. Tiefere Stimmen gelten als kompetenter – Studien zeigen bis zu 20 % höhere Zustimmung für tiefere Stimmklänge (Wired, Royal Society). Deshalb haben Politikerinnen wie Margaret Thatcher ihre Stimme gezielt tiefer trainiert. Kein Witz – Realität.

Und dann ist da der Matilda-Effekt:
Frauen werden für ihre Ideen übergangen. Männer bekommen den Applaus. Das hat mit Biologie zu tun – aber noch viel mehr mit Macht.
Und ja, auch Sprache macht uns unsichtbar. Wenn von Ärzten, Experten oder Technikern die Rede ist, denken die meisten an Männer. Das generische Maskulinum behauptet, alle seien gemeint, aber in unseren Köpfen sind es meistens Männer, die auftauchen.
Wer sichtbar sein will, braucht Sprache, die uns mitmeint. Oder einfach: die weiblich spricht.
Unsichtbar sein heißt: nicht entscheiden dürfen
Wenn du unsichtbar bist, wirst du nicht gefragt. Nicht befördert. Nicht bezahlt wie die anderen. Nicht ernst genommen.
Unsichtbarkeit kostet. Nicht nur Sichtbarkeit.
Sondern Einfluss. Selbstwert. Mitgestaltung. Und ja. Geld.
Frauen werden auch bei Stadtplanung, Medizin und Arbeitsbedingungen übersehen: Türen sind oft zu schwer, Stufen ohne Rampen, Kinderwägen nicht mitgedacht. Medikamente werden an Männern getestet und für Frauen lediglich runtergerechnet – obwohl unser Stoffwechsel anders funktioniert. Die Folge: falsche Dosierungen, unerkannte Symptome, gefährliche Nebenwirkungen.
Und dann wundert sich die Politik, warum Frauen in Deutschland im Schnitt nur 1,2 Kinder bekommen. Früher war ein ganzes Dorf da, das mitgetragen hat. Heute soll eine Frau alles alleine schultern: Job, Kind, Haushalt, Care-Arbeit. Ohne Backup. Ohne Sichtbarkeit. Ohne Mitsprache.
Dabei tragen sie nicht nur die Verantwortung für alles, sie tragen auch die Risiken z.B. für einen massiven Verlust an Lebenseinkommen, Altersarmut, Karriereknick und Arbeitslosigkeit…..
hier mal ein paar Studien dazu:
Altersarmut: Rund 21 % der Frauen ab 65 Jahren gelten in Deutschland als armutsgefährdet – verglichen mit 16 % der Männer Quelle: Statistisches Bundesamt, DIE ZEIT. Frauen erhalten im Schnitt massiver geringere Renten: das heißt, im Alter droht zu oft die finanzielle Not, trotz jahrzehntelanger Arbeit.
Lebenseinkommen: Mütter verlieren in Deutschland im Durchschnitt etwa 43 % ihres gesamten Erwerbseinkommens durch Kinder, in Westdeutschland sogar bis 54 %, mit der zweiten Geburt liegt der Verlust bei 48 % Quelle. Diese Lücke wird kleiner? Weit gefehlt, sie wächst.
Care-Last & Hours: Frauen leisten täglich etwa 80 Minuten mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer – das entspricht 44 % mehr Zeit Quelle. Die Folge: weniger Einkommen, weniger Altersvorsorge, weniger Sichtbarkeit.
Burnout: 38 % der Frauen in Deutschland berichten mehrmals pro Woche über Stresssymptome wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit oder Ängste – im Vergleich zu 25 % der Männer. Burnout ist damit deutlich weiblicher.
Nein wir werden nicht mitgemeint, nicht mit einbezogen in Planungen, bei Rechten, Gesetzen, Infrastruktur.
Weil wir in der Sprache nicht vorhanden sind, nicht mitgedacht werden, wenn das generische Maskulinum benutzt wird.
Solange wir unsichtbar bleiben, klingeln diese Summen nicht – weder in der Politik noch im Alltag.

Wie wir uns selber rausnehmen, und es ändern können
Wir haben es gelernt. Still sein. Nett sein. Uns zurücknehmen. Keine Extrawurst.
Wir sagen „Ich wollte nur kurz …“, „Sorry, dass ich störe …“, „Ich weiß nicht, ob das passt, aber …“
Wir ziehen uns zurück, wenn wir übergangen werden. Denken, es liegt an uns. Wollen nicht „schwierig“ sein.
Schluss damit. Schau mal hier, da habe ich über Klartext geschrieben und warum das so wichtig ist.
- Wenn du redest und unterbrochen wirst: Rede weiter, sag „ich war noch nicht fertig“, oder „willkommen in meinem Satz“, oder auch „ja ihre Wortmeldung ist interessant, darüber können wir gerne reden sobald ich meinen Gedankengang beendet habe“.
- Verstärke andere Frauen. Wiederhole, was sie sagen „Was Frau xy gesagt hat ….“ Immer mit dazu sagen von wem die Idee kam. Die Frauen in der Obama Regierung nannten das Amplifikation und haben damit verdammt viel Erfolg gehabt.
- Reden über Zusammenhänge: Bring auf den Tisch, was Care-Arbeit wert ist, mit Fakten, nicht nur Gefühl.
- Strukturelle Transparenz einfordern: In Teams, Politik und Planung: Wie wird gerechnet? Wer ist sichtbar? Wer nicht?
- Sichtbarkeit leben: Über Sprache, Stimme, Präsenz, und das Selbstverständnis: Ich bin sichtbar. Auch ab 40, auch mit Falten, auch mit Werten.
Sichtbarkeit beginnt nicht auf der Bühne
Sie beginnt morgens vor dem Spiegel. Wenn du dich anschaust und sagst: „Ich seh dich, ich hör dich, und ich nehme dich ernst.“
Und dann geh raus, nicht leise, nicht nett sondern echt.
Und wenn wieder einer deinen Satz oder deine Idee klaut: Sag´s nochmal, laut und deutlich.
Du bist nicht hier, um übersehen zu werden. Du bist hier, um was zu sagen.
Und falls das jemandem nicht passt, es gibt Kaffee. Der hilft fast immer.

Sprache macht sichtbar, mach mit
Achte auf geschlechtergerechte Sprache. Ja auch wenn es sich gelegentlich merkwürdig anhört und hakt. Gerade dann.
Wenn du geschlechtergerecht sprechen willst, hier ein paar Ideen:
Und vor allem: Sprich so, dass du dich selbst mitgemeint fühlst.
Denn Sprache ist nicht nur Kommunikation. Sie ist ein Spiegel dessen, wen wir sehen, und wen nicht.
Zeit, dass wir uns selber sehen.
Und gehört werden.
Unsichtbarkeit ist nicht nur ein Gefühl.
Sie ist eine Politik‑, Wirtschafts‑ und Planungsentscheidung. Wir müssen sichtbar sein, mit Worten, mit Zahlen und mit Mut. Nur dann sehen auch Politik, Märkte und Architektur uns, und planen anders.

das wars mal wieder
bis neulich
Eure
Toni vom Café Ruhepol
Liebe Toni, und noch so ein wichtiger Artikel! „Willkommen in meinem Satz“ ist so eine fantastische Reaktion, das nehme ich mal mit :D Beruflich erlebe ich es tatsächlich eher selten, dass ich als Frau nicht ernst genommen werde oder wegen meines Alters, aber ich sehe klar, dass das nicht die Mehrheitserfahrung ist. Und für mich ist es auch wichtig, solidarisch zu sein und ein möglichst gerechtes Leben für alle zu wollen. Von daher vielen Dank, dass du dich hier für die gesamte Gesellschaft so starkt positionierst!
Liebe Grüße
Angela
Liebe Angela, wenn dir das nie passiert ist hast du wirklich großes Glück gehabt. Mir selbst ist es mehr als einmal passiert und ich hab es auch immer wieder bei anderen gesehen. Heute passiert es mir auch nicht mehr, liegt teilweise bestimmt am Alter aber auch daran daß ich mir halt auch nix mehr sagen lasse. Lieben Gruß Toni
Als ich noch als Lehrerin an der Schule arbeitete, war es schon Alltag, dass männliche Lehrkräfte anders behandelt wurden als ich. Oder dass mir im Physikunterricht nicht geglaubt wurde, was ich zu erzählen hatte, weil der Opa des Schülers Elektriker war.
Jetzt arbeite ich als Nachhilfelehrerin und bekomme da eine ganz andere Wertschätzung. Also nie passiert ist es auch nicht, aber das war auch für mich ein großer Teil der Motivation, mich beruflich umzustellen.
Ist es nicht echt ein Armutszeugnis daß wir diese Diskussionen heute immer noch führen müssen? Schön daß du jetzt eine Möglichkeit gefunden hast wo du die Wertschätzung erhältst die du verdienst.