Schuldgefühl und Scham.
Zwei Worte die unser Leben bestimmen.
Auf sehr unterschiedliche Weise und mit sehr unterschiedlichem Hintergrund.
Wir werden damit seit Jahrtausenden klein gehalten, manipuliert und unterdrückt.
Mir hat das ja keine Ruhe gelassen, irgendwie laufen mir derzeit auch ständig Beiträge und Posts, Podcasts etc. zum Thema Schuldgefühl und Scham ja selbst meine Lieblingsyoutube Serie über die Geschichte Österreichs hat sich damit befasst.
Schuldige suchen wir ja auch ständig, anstatt nach Lösungen zu suchen. Das habe ich aber schon im Blogartikel über Fehlerkultur angesprochen.
Dieser spezielle „Mama-Ton“
Ich hab ihn noch immer im Ohr, diesen speziellen Ton, dieses Märtyrerinnenseufzen „Schon gut, nach allem was ich für dich geopfert habe…..“ oder „Nein, nein, ich brauch nix, Hauptsache meinen Kindern gehts gut… “ (Subtext: Undankbare Brut)
Bis ich es irgendwann nicht mehr hören konnte. Ich bin explodiert, und hab meine Mutter angeschrien (ich war grade mitten im Teenageralter so 16/17, also sieh es mri bitte nach), hab ihr klar gesagt, dass ich ihr durchaus dankbar bin dass sie die Entscheidung getroffen hat mich zur Welt zu bringen.
Aber es war genau das, IHRE Entscheidung. Es war nie ein Geschäft für das ich mein Leben lang bezahlen muss.
Sie hat entschieden ihr Leben komplett aufzugeben und „nur“ Mutter und Hausfrau zu sein. Ich trage die Konsequenzen für meine Entscheidungen. Das war aber keine davon.
Oder wie eine Bekannte das mal formulierte: „Meine Mutter war eine Heilige, die allen permanent ihre Dornenkrone unter die Nase gehalten hat.“
So waren wir, sowohl wir Kinder als auch mein Vater in einer Art Dauerschuld für ihre Entscheidung.
Von Regulierung der Gemeinschaft zur Kontrolle
Schuld und Scham sind keine privaten Gefühle. Sie sind uralte Steuerungsinstrumente.
Ursprünglich sinnvoll: In kleinen Gemeinschaften half Scham, die Gruppe zusammenzuhalten. Wer Regeln brach, gefährdete alle.
Schuld bedeutete: Du hast etwas getan, mach es wieder gut.

Doch irgendwann kippte das:
Aus situativer Regulierung wurde Dauerlast
Aus „du hast etwas falsch gemacht“ wurde „du bist falsch„
Aus Hilfe wurden Ketten
Was andere Kulturen anders und besser machen
Es gibt Völker, bei denen das nicht so ist. Bei den Hadza in Tansania oder den Khoe-San in Südafrika zirkuliert Besitz ständig – niemand hortet dauerhaft. Dadurch kann niemand reich werden, niemand übt Macht über andere aus. Schuld und Scham hängen hier am Verhalten, nicht am Sein.
Die Bantu-Kulturen leben nach Ubuntu: „Ich bin, weil wir sind.“ Identität entsteht durch Gemeinschaft, nicht durch Abgrenzung. Scham ist sozial regulierend, aber nicht existenziell vernichtend. Schuld bleibt situativ und wird durch Wiedergutmachung geheilt.
Fast das Gegenteil der christlichen Schuldlogik: Statt „du bist von Geburt an schuldig“ ein „du bist wertvoll, weil du Teil des Ganzen bist.“
Schuldgefühl und Scham funktionieren fast überall auf der Welt als Machtinstrument
Patriachische Kontrolle ist nun wirklich kein westliches oder einer abrahamitischen Religion angehöriges Phänomen, es ist ein universelles Muster.
Abrahamitische Religionen (Christentum, Judentum und Islam)
Asiatische Kulturen ohne Abrahamitische Geschichte
Der moderne Kapitalismus fügt dem Ganzen noch eine finale Komponente dazu.
Du bist Schuld an deiner Armut, Arbeitslosigkeit, es ist dein persönliches Veragen.
Das Ergebnis: Ein unkündbares, kulturübergreifendes Schuld- und Scham-Abo.
Davon profitieren seit Jahrtausenden religiöse Institutionen, das Patriachat, Statt und heute auch z.B. Pharma- Kostmetikindustrie etc.
Die wenigen noch bestehenden egalitären Gesellschaften wie Ubuntu und Hadza bestätigen aber dass es kein Naturgesetz ist mit dieser Art von Scham und Schuld zu leben, auch wenn es leider Ausnahmen sind und nicht die Norm.
Irgendwie schon bemerkenswert, in den egalitären Gesellschaften gibt es weniger Gewalt, Drogen, und Kriege…. woran das wohl liegt?

Geschlechstsspeziefische Scham- und Schuldverteilung
Frauen bekommen meistens von klein auf Schuld eingeredet.
„Du bist egoistisch, nicht liebenswert, nicht ok wenn du Nein sagst, oder nicht hilfst, dich wehrst“
Sie verinnerlichen diese Schuld, anstatt sie nach außen zu geben. Mädchen die laut sind oder aggressiv sind ja auch nicht lieb…
Männer bekommen eher Scham vermittelt.
Sätze wie „Jungs weinen nicht“ etc und die Erlaubnis laut zu sein, sich auch aggressiver zu wehren, wütend zu werden führen dazu, dass sie nicht wie Mädchen darüber grübeln sondern es oft in Aggression nach außen kippt.
„Sie ist schuld dass ich zugeschlagen habe, hätte sie nicht….“
Schuld und Scham als Systemstabilisatoren
Schuld bindet Energie nach innen:
Wer schuldig ist (oder sich so fühlt), hinterfragt nicht das System, sondern sich selbst. „ich müsste viel mehr machen“ anstatt „warum zum Teufel gibt es nicht bessere Möglichkeiten es zu verteilen?“
Frauen mit schlechtem Gewissen übernehmen weiterhin die Care-Arbeit (oder auch die Mehrarbeit im Job).
Stell dir mal vor was passieren würde, wenn die Frauen das schlechte Gewissen abschalten könnten und alle sagen würden FU. Der ganze Kram würde von einem Tag auf den nächsten zusammenfallen.
So ein paar Tage Frauenstrike durchgezogen, die Männer komplett alleingelassen mit dem ganzen. Sie werden panisch angerufen weil keine die Kinder abholt, weil die Pflege ausfällt, weil keine Muffins da sind oder Geburtstage vergessen wurden, und keine Frau weit und breit die sie auffängt.
Ich glaub wir hätten sowas von schnell sinnvolle Strukturen aufgebaut und die Stellen anständig bezahlt…
Scham erzeugt Anpassungsdruck
Gemeinschaftsdruck hält starre und ungerechte Normen aufrecht, wer gegen die Regeln verstößt, riskiert Gesichtsverlust. Genau deshalb werden in Japan diese Grapschereien so selten angezeigt, bei uns viele Übergriffe nicht angezeigt, selbst häusliche Gewalt eher runtergespielt und verborgen als offengelegt.
Weil wir uns dafür schämen, dass uns das angetan wird. Es steckt immer noch in unseren Köpfen, dass Männer das Recht haben so zu handeln und wir schuld sind wenn sie es tun. Ganz tief drin aber es ist da.
Was passiert, wenn wir die Dauerschuld ablegen und die Scham durchbrechen?
Frauen übernehmen nicht mehr alles, ziehen Grenzen und verlangen deutlicher als bisher Fairness.
Die unbezahlte Care-Arbeit versiegt und muss neu verteilt werden.
Es müssen strukturelle Lösungen geschaffen werden, von funktionierenden Kitas bishin zu besser bezahlter Pflege.

Männer dürften verletzlich sein, Hilfe suchen, und ebenfalls Care-Arbeit übernehmen
Es gäbe erheblich weniger toxische Maskulinität = weniger Gewalt auf allen Ebenen, mehr echte Partnerschaften.
Es braucht dafür auch völlig neue Rollenbilder und Vorbilder, für ALLE Geschlechter.
Das macht vielen sehr viel Angst. Denn es bedeutet auch sich mit eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten auseinander zu setzen, aus der eigenen Komfortzone rauszugehen und sich in absolut unbekannte Gewässer zu wagen.
Diese Ängste müssen wir sehen, anerkennen und respektieren.
Nur weil wir sehen was schief ist, wie sehr es uns allen schadet, heißt das noch lange nicht, dass wir das auch sofort ändern können. Dafür braucht es Konzepte, viele mutige Menschen, die auch den Kampf aufnehmen gegen die wenigen die von diesen Systemen wirklich profitieren (sind irgendwie immer wieder die gleichen Nasen)
„Das System“ das hat Namen und Adressen
Wenn wir über diese Problematiken sprechen, sagen wir immer wieder das System, das Patriarchat, schön abstrakt, dann ist auch keiner wirklich verantwortlich.
Macht ein Bleistift Rechtschreibfehler?
Das System sind Menschen.

von „ich bin falsch“ zu „diese Regel ist falsch“
Statt gegen uns selbst zu kämpfen, könnten wir besser gegen unfaire Regeln und konkrete Entscheider:innen kämpfen.
Wer erklärt wir wären selbst schuld an: Arbeitslosigkeit, Überarbeitung, Vergewaltigung, häuslicher Gewalt oder Armut, lenkt nur von strukturellen Problemen ab, anstatt Lösungen finden zu wollen.
Wir sollten uns jedesmal, wenn wir uns schuldig oder beschämt fühlen fragen:
Ist das wirklich meins oder kommt das woanders her?
Wer profitiert davon, dass ich mich grade schuldig oder beschämt fühle?
Was würde passieren, wenn ich damit aufhöre?
Schuld und Scham haben einmal Sinn gemacht – für Zusammenhalt und Verantwortung. Heute sind sie pervertierte Kontrollinstrumente. Zeit, das Abo zu kündigen.
Café Ruhepol als Ruhezone
Auch wenn ich gelegentlich als revoluzzende Rebellin wirke, ich will unsere Welt für alle Menschen ändern und verbessern. Wenn wir nur die Machtverteilung umkehren wird es vielleicht kurzfristig für einige wenige Frauen besser, insgesamt würden wir aber alle genauso verlieren wie jetzt im Patriarchat.
Nur ein gemeinsam für alle wird auf Dauer funktionieren.
Im Café Ruhepol können wir uns darüber austauschen, einmal ausruhen vom Dauergerödel gegen die Strukturen und Kraft schöpfen um weiterzumachen.
Ich tauch immer tiefer rein und es wird immer spannender
Bis neulich mal wieder
Toni vom Café Ruhepol
