Du kennst das: Du machst morgens die Augen auf, willst ganz ruhig in den Tag starten, und da sitzt sie schon.
Deine ToDo-Liste. Neben deinem Bett, mit verschränkten Armen und diesem enttäuschten Blick: „Na, war ja klar, wieder nicht alles erledigt gestern!“
Meine ToDo-Liste hieß Trollinchen, hat deine auch einen Namen?
Wie schaut sie aus deine Liste? Meine hatte einen Anzug an wie diese Karnevalskostüme, nur statt der bunten Stofffetzen hatte sie Post-It und abgerissene Notizzettel dran.
Eine ToDo-Liste mit eigenem Namen?
Klar, warum nicht? Sie nahm früher einen riesigen Teil meiner Lebenszeit und Gedanken ein.
Ich kenne Menschen, gute Freunde, deren To-do-Listen sind so lang wie Kassenrollen. Sie verbringen mehr Zeit damit, Aufgaben umzusortieren, neu zu terminieren und zu priorisieren, als sie zu erledigen. Und fühlen sich dadurch sehr produktiv.
Für mich persönlich ist das eher Prokrastination im Business-Kostüm. Ich würde 90 Prozent dieser Punkte unbesehen streichen. Was drei Tage nicht erledigt wurde, kann so wichtig nicht sein.
Aber es geht ja nicht nur um die Aufgaben ansich. Es geht um etwas Tieferes: Unsere To-do-Listen sind längst mehr als Planungswerkzeuge.
Sie sind Statussymbole geworden. Beweisstücke dafür, wie ausgelastet, wie gebraucht, wie nützlich wir sind. Und wehe, da bleibt Luft. Dann schleicht sich sofort ein schlechtes Gewissen ein. Die freie Zeit muss doch zu füllen sein, am besten mit etwas Sinnvollem. Oder mit etwas, das anderen dient. Hauptsache nicht leer.

Wir erfüllen mit unseren Listen oft nicht nur Aufgaben, sondern auch Erwartungen.
An uns selbst. An unser Bild von Erfolg. Von Fleiß. Von Genugsein.
Und genau deshalb sind diese Listen so gefährlich. Weil sie schnell zu Richterinnen werden. Weil sie uns antreiben, statt uns zu begleiten.
Wie viele Punkte auf diesen Listen sind wirklich, wirklich wichtig?
Wie viele stehen nur da, weil wir uns nicht getraut haben, nein zu sagen?
Wie viele, weil jemand anderes keinen Bock hatte, es selbst zu machen, und uns überredet hat?
Wie viele Aufgaben übernehmen wir, weil wir glauben, dass es von uns erwartet wird, nicht, weil wir es wollen?
Wieso fällt es gerade uns Frauen so schwer, nichts zu tun, unverplante Zeit in der Liste zu haben?
Teilweise weil wir gelernt haben, uns selbst immer hintenan zu stellen. Weil wir mit Care-Arbeit, unbezahlter Verantwortung und emotionaler Dauerpräsenz längst mehr als übervoll sind.
Auch hierzu gibt es allerlei schlaue Studien (zu welchem Thema eigentlich nicht?), die zeigen was wir auch ohne Studien wüßten: Frauen tragen immer noch ca 71% der mentalen Alltagslast. Von der Terminplanung wer wann wo zu sein hat, was dafür benötigt wird, ob Sonderaktionen im Kindergarten, Kita oder Schule anstehen, ob der Partner, die Eltern…..
Frauen organisieren, erinnern, denken für alle mit, und zwar so oft ungesehen, ungedankt.
Dieses Phänomen nennt sich „Mental Load“.
Dazu kommt noch daß viele Frauen gelernt haben nach außen perfekt zu funktionieren, während sie innerlich völlig erschöpft sind.
Auch dafür gibt es einen tollen Begriff, „High-Functioning Anxiety“. (Ich wußte damals, als ich es hatte, gar nicht daß das Ding auch einen Namen hat, Frau lernt nie aus.)
Pausen fühlen sich dann nicht wie Erholung an, sondern wie Kontrollverlust. Nicht gut.

Und genau deshalb ist die Leerstelle auf der To-do-Liste nicht einfach nur frei, sie ist konfrontierend. Sie zeigt, dass nichts geplant ist. Dass nichts „geleistet“ wird. Dass niemand gerade etwas von uns will. Und das ist für viele kaum auszuhalten.
Was hilft? Erstmal: das zu erkennen. Diese Unruhe, die sich meldet, wenn wir eine halbe Stunde nichts tun. Dieses innere Ziehen zur nächsten Aufgabe. Es ist nicht Faulheit, es ist erlernte Rastlosigkeit. Und die darf Frau auch wieder verlernen.
Was kann Frau tun, wenn sie denn etwas dagegen tun will?
Frau kann es üben.
Üben kleine Pausen einzubauen und bewußt auszuhalten. Nichts planen, den Impuls beobachten, den sofort etwas sinnvolles tun zu wollen, und ihn nicht sofort bedienen, ihn aushalten.
Vielleicht sogar auf die ToDo-Liste schreiben: „Heute 10 Minuten lang NICHTS tun. Und es aushalten.“
Studien und schlaue Wörter dazu
Warum uns offene To‑Dos nie loslassen, und wie wir damit umgehen können
Bereits die russische Psychologin Bluma Zeigarnik entdeckte 1927 ein Phänomen, das bis heute unser Verhältnis zu unerledigten Aufgaben prägt. Sie beobachtete, dass Kellner sich deutlich besser an offene Bestellungen erinnerten als an bereits abgewickelte. Ihre Experimente bestätigten: Unterbrochene Aufgaben lösen im Gehirn eine Art mentale Spannung aus. Diese Spannung hält die Aufgabe präsent, bis sie erledigt wird
Das erklärt, warum wir eine halbfertige Mail oder ein abgesprungenes Projekt im Kopf mit uns herumtragen, selbst wenn wir längst etwas anderes tun. Die Aufgabe weigert sich, vergessen zu werden. Das kratzt an unserer Ruhe, besonders dann, wenn wir bewusst nichts tun wollen.
Unerledigte Aufgaben verursachen inneren Druck, Pochen im Hinterkopf, wie ein offener Tab, der nicht schließt. Er kann uns treiben, aber leider auch stressen und zur Prokrastination führen, wenn wir ständig etwas angefangen haben, es aber nie zu Ende bringen.
Gleichzeitig kann das Abhaken von Aufgaben auch kleine Glücksmomente auslösen, aber nur, wenn es nicht aus dem Gefühl heraus ist, sich beweisen zu müssen.
Was würde gegen den Zeigarnik-Effekt wirklich helfen?
Kleine Abschlüsse machen. Wenn du eine Aufgabe angefangen hast, kannst du sie ganz bewusst „abbrechen“, aber mit einem Schluß. Zum Beispiel: „Ich schreibe jetzt für fünf Minuten an diesem Text, dann mache ich Pause“. Damit verringerst du die Spannung, auch in deinem Gehirn, weil du ein bewusstes Ende gesetzt hast.
Techniken wie die Pomodoro führen auch in die Richtung: Du planst Unterbrechungen ein. Du machst etwas genau so und so lang, unterbrichst dann, packst das offene Thema zusammen und läßt damit den inneren Druck früher los, das Gehirn kann entspannen.
Schreib dir offene Punkte auf. Am Besten mit Datum und kurzer Notiz was noch offen ist. Kann darf dein Kopf loslassen, er weiß wo es steht und muß es sich nicht mehr merken.

Erkenne den Druck. Wenn du merkst, daß Leerlauf dir Unruhe bringt, richte deine Aufmerksamkeit darauf: Was löst das aus? Was sagen deine inneren Antreiber? Beobachte sie, ohne ihnen gleich nachzugeben.
Was wäre die Alternative zur ToDo-Listen Überfüllung?
Ich persönlich liebe ja meine Listen.
Meine „Ja das will ich unbedingt Liste„, für die Dinge die ich total gerne machen möchte.
Meine „Not to do Liste“ auf der steht was ich heute definitiv nicht mehr machen werde.
Meine „done already“ auf der ich dann alles aufschreiben kann was ich heute geschafft habe, ist oft mehr als ich dachte.
Früher hatte ich irgendwann auch eine „gibt es irgendwen dem ich das aufs Auge drücken könnte“ Liste, nachdem ich endlich gelernt hatte, daß nicht alles auf meinen Listen auch meine Verantwortung war.

Wie wäre für mich eine gute Liste?
1.) Sie beginnt mit den Pausen. Großzügig geplant, nicht als Lückenfüller und mindestens so ernst genommen wie alle anderen ToDo danach.
Sowas wie Frühstück ohne Handy, eine Stunde draußen, oder einfach mal nichts tun.
2.) Sie enthält täglich mindestens eine Aufgabe, die nur für mich wichtig ist. Egal was, ein Buch lesen, im Café Ruhepol eine Stunde buchen ;-), ein wenig zeichnen wie in diesem Blogartikel beschrieben, oder in aller Ruhe deine Balkonpflanzen umtopfen.
3.) Sie lässt Lücken, für das Leben, für Unerwartetes, für Flexibilität. Weil wir keine Roboter sind.
Listen können gute Werkzeuge sein. Aber sie müssen uns dienen, nicht umgekehrt. Sie dürfen strukturieren, aber nicht überfordern. Sie dürfen erinnern, aber nicht antreiben. Sie dürfen helfen, aber sie dürfen auch Pause machen.
Du darfst Luft lassen. Du darfst Aufgaben streichen. Du darfst Dinge aufschieben, delegieren, vergessen. Du darfst deine Liste zu deiner Verbündeten machen. Nicht zu deiner Antreiberin.
Denn am Ende ist nicht entscheidend, wie viel du geschafft hast. Sondern wie viel Raum du dir gelassen hast. Wie viel du bei dir geblieben bist.

Bis demnächst dann wieder in diesem Theater
Toni vom Café Ruhepol