Der Uhrmacher aus dem Wunderland ist nervös.
Er fuchtelt mit den Armen, murmelt etwas von „Zeit ist Geld“ und zeigt auf seine tickenden Taschen. Du sollst dich beeilen. Schneller gehen. Mehr schaffen. Schließlich ist keine Zeit.
Und du? Du glaubst ihm.
„Ich hab keine Zeit!“ sagst du – und zack, schon hast du einen Freifahrtschein in der Hand. Keine Zeit für Sport, keine Zeit für dich, keine Zeit für das, was dich eigentlich glücklich machen würde (zum Beispiel einfach mal nix tun und dabei NICHTS denken, Luxus!).
Keine Zeit, keine Zeit, ich muß weiter, keine Zeit.
Klingt nach Verantwortung. Nach Busy Business Frau. Ist aber oft: eine Ausrede mit Fleißbildchen.
Und bevor du jetzt innerlich den Kaffee über mich ausspuckst, bleib dran. Wir reden hier nicht über Schuld. Wir reden über die Wahrheit hinter dem Zeit-Phantom.
Denn die größte Lüge in stressigen Zeiten lautet: Ich hab keine Zeit.
In Wahrheit meint sie oft: Ich trau mich nicht, Nein zu sagen. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich glaub, ich muss erst alles andere erledigen, bevor ich mir erlaube, was Eigenes zu tun. Ich hab Schiss, dass ich’s versaue, also lass ich’s lieber gleich.
Autsch. Ich weiß. Aber genau hier liegt die Freiheit vergraben, unter all dem Pflicht-Schutt.
Zeit ist keine Frage der Uhr. Sie ist eine Frage von Klarheit und Entscheidung.
Denn jeder von uns hat die gleiche Anzahl an Minuten. Jeden Tag.
Es ist unsere Entscheidung, wie wir sie verwenden.

Warum machen wir das dann alle so?
Weil das System es belohnt. Wer viel arbeitet, wenig schläft und ständig verfügbar ist, gilt als engagiert. Als professionell. Als erfolgreich.
Weil unser Gehirn uns dafür belohnt. Mit dem guten Gefühl, beschäftigt zu sein. Mit dem warmen Hauch von Anerkennung. Mit einem kleinen Dopaminkick, weil wir ein weiteres To-do abgehakt haben, selbst wenn es nur eine Ablenkung war.
Neurowissenschaftlich gesehen ist das logisch: Unser Gehirn liebt kurzfristige Belohnungen. Es schüttet Dopamin aus, sobald wir etwas erledigen, egal ob wichtig oder nicht. Das nennt sich operante Konditionierung. Je mehr kleine Erfolgserlebnisse wir sammeln, desto mehr verknüpft unser Gehirn: Beschäftigung = Belohnung.
Und weil wir uns so um Dinge rumschummeln, die uns Angst machen. Die anstrengend wären. Die vielleicht scheitern könnten.
Unser limbisches System schlägt Alarm, sobald Unsicherheit auftaucht. Also weichen wir aus – und fühlen uns kurz besser. Auch das ist Belohnung.
In Wahrheit aber ist dieses Muster vor allem eines: teuer. Emotional. Körperlich. Finanziell.
Denn jede Entscheidung, die nicht wirklich deine ist, kostet dich – Kraft, Klarheit, Verbindung. Und manchmal auch bares Geld.

Laut einer Analyse von über 26.000 Kreditentscheidungen führte mentale Erschöpfung bei Bankmitarbeitenden zu finanziellen Einbußen von über 500.000 Dollar monatlich – nur durch falsche oder verzögerte Entscheidungen. Entscheidungsmüdigkeit kostet also nicht nur Nerven, sondern handfesten Umsatz.
Auch privat: Laut Fidelity verlieren Menschen durch Prokrastination jährlich im Schnitt über 300 Dollar – weil sie z. B. Fristen versäumen, Verträge nicht optimieren oder Investitionen aufschieben. Auf zehn Jahre gerechnet ist das eine verpasste Ersparnis von mehreren Tausend Euro – Zinsen nicht mitgerechnet.
Hinzu kommt: Erschöpfte Menschen verhandeln schlechter. Laut Harvard-Forschung akzeptieren sie eher unfaire Angebote – ob im Gehalt, bei Verträgen oder im Alltag. Das kostet uns – und zwar nicht nur Geld, sondern Selbstwert.
Was es uns bringt? Kurzfristig Ruhe. Kein Konflikt. Kein Risiko. Kein echtes Wachstum.
Was es uns nimmt? Alles, was uns lebendig macht.
Wenn du willst, steigen wir da tiefer ein.
Ganz ohne Kalender-Apps und Optimierungshacks.
Sondern mit echten Fragen:
Was in deinem Kalender ist wirklich deins? Und was davon hast du einfach übernommen?
Welche Termine brauchst du – und welche brauchst du nur für deinen Selbstwert?
Und ganz ehrlich: Wofür findest du immer Zeit, obwohl du sagst, du hättest keine?
Genau da fängt es an spannend zu werden.
Mach dir einen Kaffee. Und dann nimm deinen Kalender zur Brust. Denn der Uhrmacher hat sich vertan. Die Zeit gehört dir.
Drei ehrliche Fragen für deinen Tag
Schreib’s auf. Nicht im Kopf beantworten, schwarz auf weiß. Dein Gehirn nimmt es dann ernster.
Und falls du beim Schreiben merkst, dass da ganz schön viel „muss“ und ganz schön wenig „will“ drin steckt: Willkommen. Das ist kein Versagen. Das ist der Anfang.
Der Anfang davon, dich wieder einzutragen in dein eigenes Leben.
Zeitfresser sind nicht immer böse, oft kommen sie verkleidet als Helfer.
„Ich scroll nur mal eben kurz….“, eine Stunde später bist du immer noch am scrollen.
„Ich brauch nur ein bisschen Ablenkung….“, und lenkst dich damit nur von dem ab, was du wirklich willst, auch wenn es vielleicht nicht so viel Spaß macht.
„Ich arbeite mich da noch schnell durch,….“ obwohl dein kreatives Projekt längst auf dich wartet, es macht dir nur ein bisschen Angst, drum machst du lieber den anderen Kram.
Genau so funktioniert Prokrastination. Meist läuft es unbewußt ab, wir können aber bewußt hinschaun, immer wenn wir es merken. Sofern wir bereit sind uns damit auseinander zu setzen. Das kann weh tun, anstrengend sein.

Und dann gibt es da noch die richtig tückischen, die die soooo vernünftig klingen, so erwachsen.
Solche wie „Ich fang an, wenn……“ (also nie), das „Vielleicht irgendwann….“, das klingt so harmlos, blockiert aber jeden Fortschritt denn irgendwann ist auch nie.
Die perfekte Business-Prokrastination: Listen schreiben, nochmal überarbeiten, noch mehr Listen schreiben und die auch nochmal überarbeiten, alles perfekt vorbereiten…… und nie umsetzen.
Hier kommen ein paar Ausstiegsrampen
Diese Mini-Übungen wirken wie ein Schlaglicht auf dein echtes Leben. Und du musst sie nicht perfekt machen. Du musst nur anfangen.

Es war nie ein Zeitproblem, es ging immer um die Erlaubnis
Die Erlaubnis die du dir selbst geben darfst.
Dir erlauben, anders zu entscheiden, neu zu priorisieren. Dir zu erlauben NEIN zu sagen, zu allem was dich von dir selbst wegbringt.
Das kannst du jeden Tag wieder neu machen. Je öfter desto leichter wird es.
Es geht nicht um Zeitmanagement, es geht um Klarheit und Mut. Die Klarheit, die kommt wenn du ehrlich hinschaust, den Mut den das manchmal kostet. Den Mut es dann umzusetzen, auch wenn es für andere vielleicht unbequem ist. Es ist dein Leben, deine Zeit!
Was du statt typischen Zeitmangel-Ausreden sagen kannst
Statt: „Ich hab keine Zeit“
Sag: „Das ist mir gerade nicht wichtig genug.“ (Autsch. Aber ehrlich.)
Statt: „Ich kann grad nicht“
Sag: „Ich entscheide mich bewusst für etwas anderes.“
Statt: „Ich schau mal, wann ich dazu komme“
Sag: „Wenn es mir wichtig ist, schaffe ich Raum dafür. Punkt.“
Kleiner Dialog aus dem echten Leben:
Kollegin: „Sag mal, kommst du morgen zur Teambesprechung?“
Du: „Ich hab keine Zeit.“ (Klassiker.)
Neue Version: „Ich hab andere Prioritäten gerade – wenn dabei irgendwas wichtiges rumkommt, gib mir bitte eine Kurzfassung per Mail.“
Oder:
Freundin: „Wollen wir nächste Woche mal wieder brunchen?“
Du (bisher): „Ich schau mal, ob ich’s schaffe…“
Du (ab jetzt): „Ich hab Bock, und ich mach’s möglich. Sonntag um 11?“
Wenn du dir eine ehrliche, bodenständige Auszeit gönnen willst: Schau mal in den Artikel eine Minute Auszeit. Da findest du kleine Übungen, die wirken – auch wenn du „keine Zeit“ hast.

das war es dann wieder für heute
Bis neulich mal wieder
Toni
Liebe Toni,
Danke für diesen ehrlichen und stärkenden Text.
Deine Worte fühlen sich an wie ein freundlicher Schulterklopfer. Ich merke selbst immer wieder: Wenn ich mir wirklich erlaube, nicht ständig etwas „Sinnvolles“ tun zu müssen, wird es plötzlich ruhiger in mir. Eine wohltuende Erinnerung.
VG
Anja
Hallo Anja,
ich glaub wir brauchen alle hin und wieder diese Erinnerung. Wir sind so auf Leistung und Performance gedrillt daß es uns schwer fällt Ruhe oder Nichts tun auszuhalten.
Aber unser Gehirn kann nur in der Ruhe neue Verbindungen schaffen und neue Ideen ausbrüten.
lieben Gruß
Toni