Wo endet Inklusion, und wo fängt es an mit in Watte packen?
Wann überschreite ich eine Grenze mit meinen Forderungen und Erwartungen, in beide Richtungen, als Behinderte ebenso wie als „normale“ Frau?
Das frage ich mich immer wieder, wenn ich Posts lese in denen Dinge gefordert werden bei denen ich mir entweder ernsthaft überlege wie das denn funktionieren soll, oder eben auch warum zum Teufel sorgst du nicht selbst dafür?
Müssen bzw. können wir überhaupt wirklich auf jeden noch so seltenen Trigger, jede noch so seltene Beeinträchtigung Rücksicht nehmen und sie mitdenken?
Wie können wir so viele wie möglich mit einbeziehen?
Wo ist die Grenze des Machbaren?
Wie soll das im Alltag funktionieren?
Was ist Inklusion genau?
Die offizielle Definition (UN-Behindertenrechtskonvention):
Leitgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention ist Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
Es geht nicht mehr um die Integration von „Ausgegrenzten“, sondern darum, von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen
Der wichtige Unterschied zu Integration:
Integration: Das Hineinnehmen eines Menschen in ein schon existierendes System. Das System ändert sich dabei nicht grundlegend, sondern der integrierte Mensch muss sich anpassen
Inklusion: Einschluss im Sinne einer Anpassung der Umwelt an die einzelnen Menschen und ihre Bedürfnisse, sodass alle Menschen, so wie sie sind, teilhaben können.
Ich hab das nur nochmal genau aufgedröselt, weil in der Realität das irgendwie von jedem anders verstanden wird. Von „Alle müssen überall mitmachen können“, bis hin zu „jeder individuelle Wunsch/Erwartung muss erfüllt werden“.
Strukturell notwendige Inklusion
Hier sehe ich teilweise Forderungen und Erwartungen, die für mein Dafürhalten einfach nicht machbar sind.
Völlig klar, Rampen, Dolmetscher, Barrierefreiheit wirklich in Richtung baulicher Barrieren, technischer Einschränkungen, ohne Diskussion ein Muss.

Immer wieder lese ich aber von Forderungen und Erwartungen an Veranstaltungen oder Arbeitgeber, bei denen ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie das praktisch auch nur ansatzweise umsetzbar sein soll.
Ist ja jetzt nicht so, als ob ich selbst nicht auch sehr schnell von vielen Menschen, zu hellem Licht, flackernden Leuchtröhren oder schlechter Luft, zu lauter Umgebung (sprich auch Messen) total überfordert bin. Deshalb gehe ich seit zig Jahren auf kaum eine solche Veranstaltung.
Ja nervt mich manchmal auch, gerade wenn dort interessante Kontakte geknüpft werden könnten, oder es wirklich interessante Infos gäbe.
Dann allerdings zu fordern, dass mir das Lichtkonzept der gesamten Messe zur Verfügung gestellt wird, inklusive wo wird es laut, wo sind kaputte Leuchtstoffröhren… halte ich schlicht nicht für machbar.
Es ist eine Messe, die wenigsten Messehallen sind dafür ausgelegt.
Luftfilter sind eindeutig möglich, wieviel sie tatsächlich nutzen in so riesigen Hallen mit so vielen Menschen, man verzeihe mir da meine Skepsis.
Jetzt aber Ruheräume zu fordern, zu erwarten, dass alles und jedes getan wird damit auch meine schnell überreitzbare Befindlichkeit mitgedacht wird, wäre zwar nett, definitiv auch machbar.
Ich kann allerdings auch eine ganze Menge selber machen, für den Fall dass es eben nicht gegeben ist.
Ich nehme mir eine Sonnenbrille mit, Kopfhörer und eine Schlafmaske, so kann ich mir jederzeit irgendwo meinen eigenen Ruheraum bilden.
Wirklich gute Luftfilter, vor allem auf Messen müssen sie dann ja riesig sein, kosten verdammt viel im Unterhalt, sind meistens sehr laut und sind vor allem selten schon vorhanden.
Wie soll das erfüllt werden für eine Messe oder Ausstellung?

Ich stelle mir da gerade das Messegelände hier in Köln vor.
Chattie hat mir da ein paar Berechnungen angestellt, normale Filteranlagen bräuchte man ca 500 für eine Halle, das wäre ein dermaßener Krach, zusätzlich zum Energieverbrauch und Platz, vermutlich würde dann noch ständig jemand über die Kabel und/oder Geräte stolpern.
Wünschenswert für bessere Luft, definitiv.
Machbar bei den baulichen Gegebenheiten, eher fraglich.
Soweit ich weiß wird das in Köln derzeit eh schon angegangen, bei der Größe der Hallen müssten dann noch zusätzliche Hepa Anlagen benutzt werden, was den Geräuschpegel dann eben wieder schwer erträglich machen würde.
Trigger sind individuell
Verbale Trigger können sein:
Ich steige in den Bus oder die Ubahn ein, mit meinem Rollator, und bekomme sofort einen Affen, auf allen Behindertenplätzen sitzen Menschen, die eindeutig nicht behindert wirken.
Soll ich jetzt schweigend stehen bleiben und davon ausgehen, dass die alle eine unsichtbare Behinderung haben, und völlig zurecht dort sitzen?
Oder soll ich hingehen und auffordern aufzustehen und mich hinsetzen zu lassen?
Vielleicht hat die Person die dort sitzt eine unsichtbare Behinderung und ist dann angefressen, weil sie sich mal wieder rechtfertigen muss.
Oder ich bin angefressen, weil ich nicht die ganze Fahrt stehen kann.
Wen verletzt was?
Wer hat welche Verantwortung?
Wir können reden, wir können doch sagen, wenn wir über etwas nicht sprechen wollen, wenn uns etwas getriggert hat (Schwangerschaft etc) das ist unsere Verantwortung das zu tun.
Wir können meiner Ansicht nach nicht von aller Welt erwarten, dass die wissen was uns grade anpfeifft.
Ganz ehrlich, wenn ich merke jemand erwartet, dass ständig alle auf die eigene Befindlichkeit und mögliche Befindlichkeiten Rücksicht nimmt, dann wird diese Person verdammt schnell sehr einsam werden.
Ich mein damit nicht Holzhammer hau drauf und ich darf alles sagen. Das sollte aber jeder klar sein. Normale Gespräche, normale freundliche Fragen, sollten möglich sein, wenn mich dann etwas triggert, ist es einfach meine Sache zu sagen „sorry, das war jetzt übergriffig“, oder eben „sorry, das triggert grade was bei mir, will ich nicht drüber reden“.
Ich bin Behindert. Isso.
Daher erwarte ich auch ein gewisses Maß an Rücksichtnahme auf meine Probleme, wenn notwendig fordere ich die auch ein. Treppen, schwere Türen etc sind für mich nicht nur blöd, sie verhindern dass ich überhaupt reinkomme.
Flackernde Neonröhren, laute Messehallen etc sind doof, für mich ein Grund Messen zu meiden oder eben mir Schlafmaske, Kopfhörer und Sonnenbrille mitzunehmen, dann kann ich mich rausziehen, wenn es mir zuviel wird.
Mir ist aber auch klar, dass mein Gegenüber nicht Gedanken lesen kann, wie die Verkäuferin mit ihrer Frage nach dem Urlaub.
Wir alle haben Anspruch darauf, dass wir Interesse zeigen dürfen, völlig normale Fragen stellen können, solange wir das respektvoll tun.
Wir müssen allerdings auch damit klar kommen, wenn die andere Seite uns Grenzen setzt. Egal wie „lieb gemeint“ oder „harmlos“ unsere Fragen waren.

Ich habe erst seit einiger Zeit gemerkt wie sehr es viele stört, wenn sie gefragt werden woher sie kommen. Ist das wirklich so sonderbar, wenn ich jemanden mit anderer Hautfarbe oder einem für Deutschland ungewöhnlichen Namen nach der Herkunft frage? Für mich war das immer positive Neugierde, Interesse an der Person und ihrem Leben, nicht weil ich zeigen wollte: „Du gehörst nicht hierher“.
Ich bin aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Oberbayern, Schwarze Menschen gab es nur in der US Kaserne, daher war die Frage „wo kommst du genau her“ völlig normal und wirklich nur Interesse.
Wenn ich das bisher gefragt habe, dann war das eben auch aus Interesse an der Person.
Es verunsichert mich, wie sehr es Menschen offenbar verletzt, und ihnen das Gefühl von Ausgrenzung gibt, wenn sie das gefragt werden.
Ich werde versuchen es zu vermeiden, für mich gehören alle, die hier sind auch hierher.
Reaktionsmöglichkeiten wenn ich merke da kam etwas falsch rüber
Frag nach, ganz offen, ohne dich zu verteidigen. Kann immer mal passieren dass etwas völlig anders ankommt als du es ausgesandt hast. Jede Empfänger:in hat eine Biografie, dadurch kann alles immer auf etwas treffen von dem du nichts weißt.
Du kannst auch ganz offen sagen: „War nicht meine Absicht, danke fürs Feedback“ und dann drüber nachdenken. Nicht immer hast du etwas falsch gemacht, nur weil es gegenüber falsch ankam.
Achte auf den Kontext in dem du sprichst, exakt die selben Worte könnten in einem Team oder Freundeskreis harmlos sein, in einem anderen Kontext verletzend wirken.
Wir können nicht hellsehen, aber wir können mit Haltung, Zuhören und Nachjustieren dafür sorgen, dass sich alle wohler fühlen.
Bevor jetzt kommt ich hätte ja keine Ahnung wie Hyperempfindlichkeit ist
Letzten Freitag war ich auf den Gründertagen der IHK Köln.
Minimesse, nicht mal eine Halle sondern ein neugebauter Gebäudekomplex mit einem richtig großen Atrium in der Mitte. Darin hat das stattgefunden, viel Luft, hell, vielleicht 20 Stände, also alles überschaubar.
Ich hab mich mehrfach rausgezogen, mich an die Seite gesetzt und meditiert, bin Mittags, als es mir zu voll wurde rausgegangen.
Trotzdem hat es mich so überfordert, ich wär auf dem Heimweg fast umgekippt, hab mich auf dem Weg zur UBahn mehrfach übergeben.
Ich kann also durchaus nachvollziehen was ihr meint.
Und dennoch war es meine Verantwortung, ich hätte öfter Pause machen sollen, mich mit Schlafmaske irgendwohin setzen sollen, Kopfhörer auf und runterfahren.
Vielleicht Pfefferminzöl mitnehmen und dran riechen.
Hab ich nicht gemacht, ich war mal wieder so doof und wollte es durchziehen, weil alle andern das ja offenbar auch schafften. War ja nur mini.
Tja, war keine so wirklich gute Idee gewesen. Aber es war MEINE Verantwortung, nicht die der Veranstalter.

Inklusion braucht ehrlichen Dialog
Wenn ich merke, jemand erwartet von der Umgebung, ständig auf Zehenspitzen umherzuschleichen für den Fall dass mal wieder was triggert, verliere ich persönlich sehr schnell die Lust mich mit dieser Person überhaupt zu unterhalten.
Ich bin nicht gut auf Zehenspitzen, weder verbal noch tatsächlich. Damit umgehen wenn mir jemand erklärt ich hätte Grenzen überschritten kann ich durchaus, wenn die Grenzen aber bei jedem 3. Wort liegen, hör ich halt auf zu reden.
Inklusion für alle funktioniert nur, wenn wir ehrlich und offen miteinander reden, sowohl über das was möglich ist, als auch über das, was wir selbst beitragen können.
Normale Gespräche, normale freundliche Fragen, sollten möglich sein, keine:r kann den anderen ins Gehirn schaun. Wir alle können unsere Grenzen setzen und entsprechendes Feedback geben.
Im Café Ruhepol geb ich mir wirklich alle Mühe mit Inklusion, ich schreib ja auch oft über Themen wie Rassismus in Deutschland oder Barrierefreiheit
Ich bin Antonia, Gründerin und Betreiberin des virtuellen Café Ruhepol. Nach meinem eigenen Burnout habe ich mich nicht nur selber wieder rausgezogen, ich habe sehr viel gelesen, eine Coaching Ausbildung gemacht, viel über Malerei gelernt, über NeuroGraphik, Psychologie und vieles mehr. Entstanden ist daraus ein Konzept OHNE Zielvereinbarung, OHNE Performanceerwartungen und vor allem mit viel Ruhe.
Burnout ist etwas, was wirklich keine braucht.
Sprich mich ruhig an, wenn du wissen willst was ich mache, wie ein Burnout sich bei Frauen ankündigt (der ist ganz anders als bei Männern), oder wie du dabei sein kannst.
Oder auch einfach, wenn du jemanden brauchst der einmal zuhört, ohne dir direkt Lösungsvorschläge zu machen. Erreichen kannst du mich ganz einfach hier drunter über einen Kommentar oder per Mail an Kontakt (at) Caferuhepol.de.
Das war es mal wieder von mir.
Bis neulich
Toni vom Café Ruhepol

Hallo Antonia,
danke für diesen bodenständigen Beitrag!
Wir Menschen sind sooo unterschiedlich, haben so viele verschiedene Bedürfnisse, Wünsche und halt auch Herausforderungen und Triggerpunkte – da ist es fast unmöglich, von vornherein alle möglichen Eventualitäten zu bedenken und dafür Vorkehrung zu treffen. Das ist vom Aufwand her nicht stemmbar, vom Finanziellen her nicht und wie du halt auch schon sagst in deinem Beispiel mit den Luftfiltern: was dem einen hilft in Sachen Luftqualität, geht zu Lasten des anderen in puncto Lautstärke.
Aber was man machen kann: miteinander reden. Schauen, was wirklich gebraucht wird, was geht und was nicht, und wie man da eine brauchbare Lösung findet. Vielleicht unkoventionell, vielleicht mit Kompromissen auf beiden Seiten. Aber meiner Erfahrung nach funktioniert es oft, wenn man sowohl selber als Mensch mit Behinderung, als auch als Veranstalter / Laden- oder Restaurantbesitzer / whatever offen ist und lösungsorientiert. So ticken leider nicht alle Menschen, aber ich freue mich über jede Begegnung, wo das so ist – und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass es mehr solcher Dialoge gibt. Erfahrungsgemäß baut es auch Berührungsängte und Vorurteile ab, wenn man miteinander spricht. Wenn ich im Rolli unterwegs bin, scheinen manche Leute bisweilen etwas überrascht davon zu sein, dass ich nicht einfach nur ein sperriges Problem auf Rädern bin, sondern ein sprechender, mitdenkender und durchaus auch humorvoller Mensch, der offen ist für pragmatische Lösungen und weder erwartet, dass von vornherein alles perfekt barrierefrei ist – noch d’accord damit ist, kategorisch ausgeschlossen zu werden. Aber dazu sehe ich die Verantwortung halt auch bei mir, klar zu kommunizieren, was geht und was nicht. Das kann ja vorher keiner wissen, selbst bei sichtbaren Behinderungen nicht und bei unsichtbaren schon dreimal nicht. Wie war das… mir sinn all nur Minsche… ;)
Liebe Grüße
Anne