Unabhängigkeit. Was ist das eigentlich genau?
Laut Definition die ich gefunden habe ist eine unabhängige Person nicht frei von Beziehungen oder Einflüssen, niemand lebt im Vakuum. Trotztdem trifft eine unabhängige Person Entscheidungen, ohne von Angst, Abhängigkeit oder fremden Erwartungen bestimmt zu werden.
Sie bleibt handlungsfähig, auch wenn Gegenwind kommt.
Als ich dann gefragt habe was eine unabhängige Frau ausmacht, bekam ich zur Antwort:
Eine unabhängige Frau setzt sich über Zuschreibungen hinweg, sie muss Erwartungen brechen wie Mutterpflicht, Nettigkeitsgebot, Schönheitsnormen, Anpassung an andere.
Ihre Unabhängigkeit ist nicht selbstverständlich, sondern erkämpft, sie bleibt angreifbar, gerade weil sie Grenzen zieht.
Erstaunlicherweise (oder eigentlich nicht), die Definition für einen unabhängigen Mann war: Männliche Unabhängigkeit wird als völlig normal, erstrebenswert und selbstverständlich betrachtet. Sie bedarf keiner Rechtfertigung.
Eine unabhängige Frau, und warum wir nicht alle welche sind.
Die Antwort ist schon aus der Einleitung zu sehen, grundsätzlich gar nicht so schwierig.
Unabhängige Frauen wurden schon seit Jahrhunderten (vielleicht sogar Jahrtausenden) Dämonisiert, in immer gleiche Schubladen gesteckt (Mutter der Nation, Hexe, Teufelin, Verführerin oder Mannweib).
unabhängige Frauen in der Kultur und Religion
Jeanne d’Arc, Bauernmädchen, das ein Heer führte. Erst als Heilige, dann als Hexe, dann als Nationalheldin erzählt.
Sojourner Truth, ehemalige Sklavin, Aktivistin für Frauen- und Bürgerrechte. „Ain’t I a Woman?“ , Rede, die bis heute wirkt.
Frida Kahlo, Künstlerin, unabhängig in Stil und Leben, gegen gesellschaftliche Erwartungen.
Simone de Beauvoir, Philosophin, Feministin, unkonventionell in Beziehung und Werk.

Natürlich werden auch Männer kritisiert. Für Entscheidungen die sie treffen, für verlorene Kriege. Nicht allein für ihr Geschlecht. Heinrich 8. hat die Religion seines Landes verändert, weil er sich scheiden lassen wollte und die Kirche nein gesagt hat. Er hat seine Frauen köpfen lassen, ins Kloster geschickt…. Stell dir einfach mal vor was los gewesen wäre, wenn das eine Frau gemacht hätte.
Wie viel Elisabeth steckt in uns? Wie viel Angst vor Gegenwind haben wir, von außen aber auch in uns.
Ich geb ganz offen zu, bei mir ist da so einiges an Angst aber auch Unsicherheit, wie will ich eigentlich sein, wie schaffe ich es mehr Michelle Obama zu sein und weniger braves Mädchen?
Warum so viel Angst vor einer unabhängigen Frau?
Irgendwo muss das ja herkommen.
Schon Lilith wurde in der Bibel ja dämonisiert, sie hat sich nicht gebeugt. Als sie sich auch nicht den drei Engeln beugen wollte, wurde sie verflucht, täglich werden 100 ihrer Kinder sterben…. Nicht nur ihr drohen sondern direkt unschuldigen Kindern, moralischer Druck nur weil es unerträglich schien, dass eine Frau unabhängig denkt und entscheidet.
Da ich keine Verhaltenswissenschaftlerin bin kann ich nur schlaue Bücher lesen, Chattie fragen, recherchieren und etwas sehr merkwürdiges machen: selber denken
Klar ist es Angst vor Machtverlust. Wenn die Macht auf Kontrolle basiert, darauf dass die Hälfte der Bevölkerung unsichtbar, klein und hilflos gemacht wird, wackelt natürlich alles, wenn diese Hälfte dann plötzlich sichtbar, stark und unabhängig ist.
Das ist es aber nicht alleine glaub ich.
Könnte es auch die Angst sein, vor allem was da sichtbar wird: dass Bindungen freiwillig sein können, ohne Abhängigkeit, dass Liebe keinen Gehorsam braucht, Männer nicht automatisch Zentrum und Maßstab sind?
Diese Angst haben ja nicht nur Männer, auch viele Frauen reagieren auf unabhängige Frauen so heftig.

Wovor haben Männer Angst bei einer unabhängigen Frau?
Da ich keiner bin kann ich nur vermuten, und mich an Studien orientieren.
Hat mich etwas erschreckt, was dabei herauskam. Sind so viele Männer wirklich insgeheim so unselbständig?
Chattie hat da einige Studien ausgegraben die andeuten, dass Männer sich von unabhängigen Frauen bedroht fühlen, dass sie Angst haben die „gottgegebene Ordnung“ würde ins Wanken geraten, oder schlicht dass die gewohnte „Mama kümmert sich drum“ Systematik nicht mehr funktioniert.
Chattie hat allerdings auch ausgegraben, dass sie sich in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen, da die Frauen dann ja nicht mehr von ihnen abhängig sind. Sie könnten einen „besseren“ Mann finden und einfach gehen (wieso kommt keiner auf die Idee dass sie einfach nur die Schnauze voll hat und deshalb geht, auch ohne neuen Kerl?)
Wovor haben wir Frauen Angst wenn wir unabhängige Frauen sehen?
Das fand ich wieder eine sehr spannende Frage, wovor habe ich Angst wenn ich sie sehe?
Die Vorstellung bedeutet für mich, meine bisherigen Rollenvorstellungen massiv zu hinterfragen. Wie ich schon hier geschrieben habe, wir Frauen sind nicht nur Opfer des Mental Load und der Care Arbeit in unseren Beziehungen, wir haben da auch einen gehörigen Anteil dran. Den dürfen wir durchaus auch bearbeiten.
Unabhängig sein heißt nicht nur, Kanzlerin werden oder Shitstorms aushalten. Es heißt auch: im ganz normalen Alltag keine Hotel-Mama-Rolle spielen. Eine unabhängige Frau übernimmt nicht einfach alles, „weil es sonst liegen bleibt“. Sie macht klare Absprachen: Wer macht was, und jede:r kümmert sich um seinen Teil. Punkt.
Das klingt leichter, als es ist. Denn es bedeutet auch: auszuhalten, wenn er seinen Part nicht erledigt. Nicht hinterherräumen, nicht retten, nicht auffangen. Ihn mit den Folgen seines Nichtstuns stehenlassen.
Unabhängigkeit beginnt nicht erst in der Politik oder Kulturgeschichte. Sie beginnt da, wo ich ein Nein setze, und es nicht wieder zurücknehme.
Unabhängigkeit ist vor allem eine Sache der Einstellung
Ich kann das Wort Mindset ja langsam nicht mehr hören. Es wird für alles und jedes verwendet.

Hier passt es allerdings wirklich.
Unabhängigkeit ist viel mehr als nur die Umstände. Je mehr ich mich einlese in Frauengeschichten egal aus welcher geschichtlichen Epoche, desto öfter finde ich Frauen die als Sklavin ihre Haltung bewahrt haben, manche Königinnen hatten alle Macht der Welt, und waren innerlich unfrei, gefangen in Angst und Erwartungen.
Äußere Unabhängigkeit braucht Strukturen, innere Unabhängigkeit beginnt mit der Weigerung, sich selbst klein zu denken.

Ich werde weiter in mich gehen um rauszufinden wo meine Unabhängigkeit noch hängt.
Bis neulich
Toni vom Café Ruhepol