Schon kleine Mädchen lernen es: Lächle niedlich, sei brav, hilfsbereit, lieb.
Wenn du lieb bist wirst du gemocht.
Das Lächeln wird zur Eintrittskarte, zum Preis für Anerkennung und dazugehören.
Später in der Schule lernt sie es noch besser.
Mit Authentizität hat das schon nicht mehr viel zu tun.
Aber sie lernt:
Wer widerspricht, gilt als anstrengend, zickig.
Wer eigene Ideen hat wird belächelt oder gar ausgelacht.
Wer nicht mitmacht was alle machen, wird halt ausgegrenzt.
(Ich hab Barbiepuppen aus tiefster Seele gehaßt. Viel lieber hätte ich mit den Jungs Fußball gespielt oder wär auf Bäume geklettert, aber sowas macht ein Mädchen ja nicht)
Irgendwann lernen wir: Wenn ich dazugehören will muß ich mich anpassen.
Im Teenageralter gab es früher bei uns ja nur die Bravo und ich bin heilfroh drum.
Heute wird den Mädchen über Tictoc, Instagram und diverse andere Plattformen erklärt und gezeigt wie sie zu sein haben.
Hübsch, schlank, sportlich, modisch…
Unser ganzes Leben wird uns eingetrichtert, daß wir so wie wir sind nicht gut genug sind.
Nicht hübsch genug, nicht schlank genug, nicht groß genug, nicht zierlich genug…..
Zu laut, zu sensibel, zu intelligent (ja wurde mir tatsächlich auch schon vorgeworfen), zu kritisch denkend, zu viel wollend, zu unabhängig, zu liebesbedürftig, zu ehrgeizig, zu wenig ehrgeizig, zu zickig…….. zu (setz das zu deiner Wahl ein)
Authentizität, was zum Kuckuck soll das sein?
Wir haben gelernt, angepasst sein ist gut, dafür bekommst du Anerkennung und gehörst dazu.
Gleichzeitig sollst du als erwachsene Frau im Business und als Führungskraft plötzlich auch authentisch sein. Aber bitte nicht zu…

„Sei einfach du selbst“, als wäre das nur eine Entscheidung.
Als hätten wir gelernt wer oder was das eigentlich ist.
Wie soll das gehen, wenn du nie einen sicheren Ort hattest um das zu üben?
Wenn du dein Leben lang bisher erfahren hast:
Nicht angepasst = nicht eingeladen.
Eigene Ideen oder kritische Gedanken = Ausgegrenzt werden
Zu viel… sein = Schweigen.
So war es zumindest bei mir, und ich weiß, ich war nicht die Einzige die es so erlebt hat.
Authentizität ist Mut, es ist aber auch ein Ort
Für mich ist Authetizität ein Ort, an dem ich sicher bin, wo ich weiß ich werde nicht bestraft weil ich ich bin.
Ein Raum, in dem mir nicht das Wort im Hals stecken bleibt, weil ich weiß, wenn ich das jetzt sage, steh ich wieder alleine am Rand, werde ausgelacht oder verletzt.
Wie viele Frauen sind erschöpft von dieser Maskenarbeit?
Sie haben ihr Leben lang gelernt und trainiert, immer erst den Raum zu lesen, egal wo:
Was darf ich hier sagen?
Wie darf ich hier aussehen, wie darf ich hier sein?
Wie viel darf von mir hier sichtbar sein?
Wie emotional, stark, müde, kritisch… darf ich hier sein?
Sie scannen nicht mal mehr bewußt, das ist so automatisch, es läuft unbewußt ab.
Dieses Scannen kostet Kraft.
Dieser Spagat kostet Kraft.
Der Spagat zwischen hübsch, nett und lieb und gleichzeitig stark und durchsetzungsfähig, weiblich und energisch (wobei ich nie verstanden habe warum energisch und weiblich ein Widerspruch sein soll).

Authentisch Weiblich?
Wenn ich so drüber nachdenke, meine Oma, kaum 150 groß, 13 Kinder großgezogen, mit allen Kindern allein von Polen nach Dresden geflohen. Niemand hätte ihr die Weiblichkeit abgesprochen. Sie war so breit wie hoch, aber wehe eines von uns Kindern ist ihr frech gekommen, holla die Waldfee hatte sie uns schnell am Wickel.
Sie war viel energischer, durchsetzungsfähiger und entschiedener als mein Opa.
Sie hatte auch keine Wahl würde ich sagen. Sie hat glaub ich nie drüber nachgedacht wie sie wirkt, ob sie authentisch ist. Sie war einfach.
Wenn sie heute noch leben würde, kein CEO könnte ihr die Butter vom Brot nehmen, sie würde sogar diesem rothaarigen Trumpeltier sowas von die Meinung geigen und sich den Teufel drum scheren ob das Weiblich genug wäre.

Weiblichkeit als Projekt
Meine Oma hatte keine Wahl, ob sie feminin genug wirkt, ihre Kraft war sichtbar und spürbar, auch in ihren alten Kleidern und ohne Lippenstift.
Sie trug auch auf alten Fotos immer eines dieser schwarzen Omakleider und einen Dutt. Auch als meine Mamma noch klein war. Oma war eine der Trümmerfrauen.
Heute ist Weiblichkeit fast eine Choreografie.
Alles wird bewertet:
Stimme
Haltung
Outfit
Frisur
Körpersprache
Dazu noch die Erwartungshaltung, teils auch aus den Medien und sozial media wieder befeuert: sei tough, aber nicht zu hart – sei nett, aber nicht zu sehr – sei emphatisch, aber nicht zu sensibel…….
Zerdenken wir das vielleicht zu sehr?
Oma war einfach präsent, mit Haltung, ohne Theater. Kein Branding, kein Buzzword. Sie war einfach.
Sie hat nicht gefragt ob das gut ankommt was sie macht. Sie hat gemacht was sie für richtig hielt, und fertig.

Heute leben wir in einer Welt, in der du ständig überlegst, wie das wirkt was du tust.
Wir haben so viele Spiegel um uns rum, wir wissen kaum noch wie wir aussehen, wenn wir in keinen schaun.
Manchmal frag ich mich ernsthaft, ob Omas Weg nicht vielleicht der bessere war.
Meine Oma hat nie nachgedacht ob sie jetzt weiblich genug war.
Sie war einfach, wie sie war.
Sie bekam Respekt, einfach weil sie entsprechend aufgetreten ist.
Auch mit ihren 1,50 hat jeder gemerkt: „Mit der leg ich mich besser nicht an“.
Was bei ihr höchstens auf dem Dorffest mal Thema war, (obwohl ich da auch eher glaube daß sie sich mehr über Kindererziehung und Kochrezepte ausgetauscht hat, als über die neuesten Frisuren oder Klamotten), ist heute Dauerstream.

Ständiger Vergleich, ständiger Blick von außen, ständige Berieselung ob wir auch genügend hübsch UND schlank UND sportlich UND kompetent UND charismatisch UND gepflegt UND belastbar UND flexibel UND sympathisch UND UND UND sind.
Ich glaube wir dürfen wieder lernen mehr wie meine Oma zu sein, das ist authentisch genug.
Authentisch sein, wo wir so viele Rollen spielen
Wir spielen immer irgendwelche Rollen.
Kollegin, Chefin, Mutter, Führungskraft, Freundin, Partnerin, Tochter…..
Das ist völlig normal, machen wir alle.
Es gehört einfach zu uns wie das Atmen.
Eine Rolle zu spielen heißt aber nicht unecht zu sein.
Es heißt wir wählen aus, was jetzt gerade paßt und was nicht.
Anders geht´s gar nicht.
Wann wird die Rolle zum Problem?
Ich glaube wenn ich nachdenke, ob ich Mitgefühl zeigen kann im Job, ob meine Rolle das zuläßt, dann hab ich ein Problem.
Wenn ich mich nicht traue, eine weinende Kollegin oder Mitarbeitende in den Arm zu nehmen weil ich ja Führungskraft bin, dann hab ich ein Problem.
Es macht einen großen Unterschied, ob ich meine Rolle bin, oder ob ich mich dahinter verstecke, weil ich anders nicht sicher bin.
Wenn der Raum sicher ist, wird die Rolle leicht.
Ich bleibe ich, nur eben im Kontext.
Wenn der Raum unsicher ist, dann wird die Rolle zur Maske.
Dann lerne ich wieder, ohne sie bin ich angreifbar.
Und irgendwann vergesse ich, wie es war, als ich einfach so war wie ich bin.
Die sichtbare Maske
Bisher hab ich ja eher über Masken im übertragenen Sinne gesprochen.
Wie viele Frauen ziehen sich jeden Morgen auch eine echte Maske ins Gesicht?
Sie wissen, ungeschminkt werden sie anders bewertet.
Sie fühlen sich sicherer.
Attraktiver natürlich auch schätze ich mal.

Perfekt geschminkt heißt: Kontrolle.
Perfekt gestyled heißt: Ich hab alles im Griff.
Nicht zu müde aussehen, nicht zu jung, nicht zu alt
Ich seh in den sozialen Medien so viele die sich „authentisch“ darstellen.
Auf ihren Fotos sind sie professionell geschminkt, absolut perfekte Pose, Kleidung Business mit einem Hauch Verführung…
Ihre Texte hochgebildet, klug, witzig und ebenfalls sehr professionell.
Kompetent sein, und gleichzeitig die Erwartungen an Weiblichkeit erfüllen.
Es fühlt sich für mich alles ist zu perfekt, zu glatt, zu „richtig“ an.

Oft wird dieses Make-up zum Schild.
Eine Uniform, ein Schutzpanzer gegen Blicke, die alles andere sehen, nur selten die Person die dahinter ist.
Weißt du was?
Meine Maske sieht anders aus.
Sie glänzt nicht, sie tarnt eher.
Bei mir ist es das Gewicht, meine weiten Schlabbershirts, meine raspelkurzen Haare.
Ich fühlte mich darin lange sicherer, als würde ich rufen: „Schaut mich bloß nicht zu genau an“.
Langsam komm ich wieder raus aus diesem Schneckenhaus, traue mich sichtbarer zu werden. Langsam.
Manche legen Make-up auf, andere legen Unsichtbarkeit auf.
Beides sind Strategien gegen die Angst: Was passiert, wenn ich mich zeige wie ich bin?
Unsere Rollen sind nicht das Problem
Rollen sind normal.
Problematisch werden sie nur dort wo keine Sicherheit herrscht.
Jetzt kommen wir also zum Thema Psychologische Sicherheit, gerade am Arbeitsplatz.
Denn sie ist der Nährboden der Echtheit.
Authentizität wird oft gefordert als wäre sie der nächste Softskill. Wir sollen offen sein, uns verletzbar zeigen etc.
Nur wenn der Raum sich nicht sicher anfühlt, nicht sicher ist, wird genau dieses sich zeigen zur Falle. Dann zeigst du dich verletzbar und jemand haut genau in diese Kerbe.

Wie viel Authentizität verträgt welche Situation?
Neulich in einem Post gelesen (würde ihn gerne verlinken, finde ihn leider nicht mehr):
Dieser Coach rät seinen Coachees nämlich sie sollen aufhören als Chef über ihre Gefühle zu reden.
So pauschal finde ich das ziemlich doof.
Nachdem er es etwas genauer beschrieben hat kann ich es nachvollziehen was er meint.
Nicht jede Situation verträgt immer alles.
Er beschreibt das Bild eines Piloten während des Fluges. Es gibt Turbulenzen und der Pilot macht eine Durchsage für die Passagiere.
Will da irgendwer von ihnen hören, daß der Pilot sich grade überfordert fühlt?
Genau in diesem Moment definitiv nicht. Also ich eindeutig nicht.
Genauso wie ein Chef in Krisensituationen Stärke und Haltung zeigen sollte, um das Team nicht mitten im Sturm mit der eigenen Orientierungslosigkeit allein zu lassen.
ABER:
Wenn die Landung geschafft ist, das Unternehmen aus der Krise ist, dann schafft genau diese Offenheit Vertrauen und Verbundenheit. Dann zu sagen: „Uff, das war zeitweise verdammt haarig“ ist völlig ok.
Denn Echtheit ist nicht Dauerlächeln im Sturm, es ist auch nicht jede Verwundbarkeit zu zeigen, egal was ist.
Echte Führung ist ruhig zu bleiben, da zu sein, ohne Show, ohne Drama. Abwägen was gerade angebracht und notwendig ist.
Also eigentlich wie im Leben außerhalb des Jobs auch. Niemand zeigt immer alles.

Ein paar Veröffentlichungen dazu
Hier etwas vom BMI.Bund zum Thema
Von der Diversity-Academy zum Motor für Vielfalt und Erfolg
NiloHealth ein Blog der sich ebenfalls damit befasst
Was ich aus diesen und anderen Veröffentlichungen habe:
„In Teams mit hoher psychologischer Sicherheit steigt die Produktivität um bis zu 27 %, Mitarbeitende bleiben länger im Unternehmen.“ Tatsinn.com
Die Ecsell-Studie zeigt: Führungskräfte, die Sicherheit vermitteln, steigern den Jahresumsatz im Schnitt um 4,3 Millionen Dollar. NiloHealth
Psychologische Sicherheit und Authentizität bedingen einander also.
Beides sind kein Nice to have, sondern Basis für wirklichen Erfolg.
Was, wenn du diese Sicherheit im Außen nicht hast?
Was, wenn dein Team nicht trägt, deine Führung nicht zuhört, dein Umfeld nicht hält?
Dann bleibt dir nur das: Du wirst dein eigener sicherer Ort.
Leichter gesagt als getan.
Zu dem Thema würde mir noch sehr viel mehr einfallen, wird vielleicht noch ein weiterer Artikel
Bis denn dann
Toni vom Café Ruhepol
