#zeig dich bunt und hör nie wieder auf
Es fing mit einer privaten Nachricht an, die eine erfolgreiche Coachin bekam:
„Deine Posts sind großartig, aber könntest du dich nicht ein bisschen deinem Alter entsprechend kleiden und schminken? Diese lebhaften Farben und der rote Lippenstift… du bist schließlich keine 20 mehr.“
Kompliment und Ohrfeige in einem Satz.
Celine Tueryeni von „Texte mit Ziel“ hat diesen Schlag aufgegriffen und unter #zeig dich bunt einen Flashmob auf LinkedIn gestartet.
Am 8. August 2025 war es soweit: Hunderte Frauen zeigten sich bunt.
Hunderte Frauen in Bunt, lachend, strahlend.
Manche zum ersten Mal überhaupt mit Bild.
Manche mit Haaren, so ungewöhnlich gefärbt wie sie selbst.
Manche mit kunterbunten Kleidern
Alle mit diesem speziellen Glanz in den Augen, wenn Frau sich traut, ganz sie selbst zu sein.
Es war wie ein digitales Straßenfest:
Kommentare, Herzchen, sich gegenseitig stützen und anfeuern.
Farbe, Stolz und diese Blicke und Texte: „Ja ich bin hier“.
Es schwappte rüber zu Facebook und Instagram, und hoffentlich auch ins echte Leben. Da war soviel positive Energie, soviel Gemeinschaft, Sisterhood. Mir wurde richtig warm ums Herz dabei.
Weil ich gesehen habe, wie viel Mut bei einigen hinter diesen Bildern gesteckt hat.
Weil ich gespürt habe, was passieren kann, wenn wir uns gegenseitig halten, statt uns klein zu machen.
Und ja, es hat mich auch wütend gemacht.
Weil dieser Mut in einer Welt nötig ist, die uns sonst wegretuschiert.
#zeig dich bunt: Mich hat dieser Flashmob sehr berührt und auch wütend gemacht.
Berührt, weil es so viele wirklich Mut gekostet hat, sich so sichtbar zu machen, gerade weil sie es so lange nicht getan haben.
Wütend, weil ich selbst weiß, wie eng diese unsichtbaren Regeln in unseren Köpfen sind. Wie tief der Satz „Das paßt nicht mehr zu deinem Alter, deiner Figur…“ in mein Hirn eingebrannt war.
Ich selbst hab Jahre in Grau und Schlabberlook verbracht. Nicht weil ich Grau so toll finden sondern weil es sicherer war.
Unauffälliger, weniger angreifbar.
Und jetzt?
Mit den Jahren kommt auch der Mut zurück.
Die Lust auf farbige Kleidung, nicht mehr alles schlabberig weit um meine Figur zu kaschieren.
Die Lust auf Statement-Ohrringe und Schmuck, auf raspelkurze rote Haare und funky Brille.
Wer zum Kuckuck entscheidet wer sichtbar sein darf?
Wer hat denn eigentlich entschieden, daß Sichtbarkeit eine Frage des Alters ist bei uns Frauen?

Diese unsichtbare Regel, die uns aber überall entgegenkommt oder eben unsichtbar umgesetzt wird. Frauen über 35 sollen nur noch gedeckte Farben tragen, leiser sein.
Und wir haben es wie eine Schere im Kopf, zensieren uns teilweise schon selbst, bevor wir überhaupt zum Kleiderschrank gehen.
Das macht was mit uns, mit unserem Selbstwert, mit unserem eigenen Bild von uns. Auch mit unserer Haltung und unserer Präsenz.
Wir machen uns selbst kleiner, unsichtbarer. Damit ist jetzt Schluß.
Das hat dieser Flashmob deutlich gezeigt.
So viele wundervolle Frauen die sich teilweise das erste Mal so gezeigt haben, mit Bild.

Bunt bedeutet nicht immer laut und schrill. Es muß nicht knallrot oder orange sein.
Es darf aber sichtbar sein.
Wir brauchen keine Erlaubnis uns zu zeigen, nur den Mut nicht auf sie zu warten. Geben wird sie uns eh niemand.
Warte nicht auf einen Hashtag, erfinde deinen eigenen Moment.
Wir werden nicht nur unsichtbar gemacht, wir machen uns selbst unsichtbar.
Wir haben zu gut gelernt, daß Auffallen gefährlich ist.
Weil „würdevoll altern“ in unserer Gesellschaft oft gleichbedeutend ist mit immer weniger werden.

Und weil wir den Mut, sichtbar zu sein, oft erst dann wiederfinden, wenn wir schon jahrelang im Tarnmodus waren.
Ist diese Unsichtbarkeit nur mein Gefühl? Was sagen die Zahlen
Klar hatte ich so das Gefühl daß Frauen ab einem gewissen Alter immer weniger gesehen werden. Im Fernsehen, in Filmen…
Frauen die wie ich dann auch noch körperlich nicht dem gängigen Schönheitsideal von rank und schlank entsprechen dann doppelt so selten.
Also hab ich mal recherchiert um zu schaun inwieweit das nur mein Gefühl ist, gelegentlich ist Frau ja auch betriebsblind.
Filmrollen im Film für Menschen über 45: Männer 21 Filme, Frauen 8
Serienrollen: mehr als 50% männlich, weiblich sind es 29%
Wer meint ok, das waren jetzt Zahlen aus US, bei uns ist das doch völlig anders… ähm nein ist es nicht.
Bei uns kippt das schon ab 30! Ja richtig gelesen, schon ab 30
Ab 30 gibt es pro weibliche Fernsehrolle satte 2 männliche.
Ab 50 sind es dann 3 männliche pro 1 weibliche.

Hinter der Kamera ist es noch drastischer: Drehbücher von Frauen über 40 grade mal 12%.
Die Geschichten, die wir sehen, hören, erleben – sie werden nicht von uns erzählt.
Diese Zahlen sind kein Zufall. Sie sind der Beweis dafür, dass „sichtbar bleiben“ für Frauen kein Selbstläufer ist, sondern ein täglicher Akt des Widerstands. Und dass es nicht reicht, auf einen Hashtag zu warten, um wieder aufzutauchen.
Und wer nicht der Normschönheit entspricht, verschwindet doppelt.
Na welche Überraschung: In US Fernsehserien mit hoher Einschaltquote nur ca 14% weiblich und übergewichtig, obwohl der Bevölkerungsanteil mehr als doppelt so hoch liegt.
Und natürlich war kaum eine davon in einer romantischen Rolle oder die der Heldin. Die meisten waren mehr Witzfiguren als alles andere.
Es gibt sogar einen Begriff für die Darstellungen übergewichtiger Menschen, Fattertainment.
Bei Nachrichtenbildern über Adipositas werden zB. 60% der Darstellungen ohne Kopf gemacht, als ob der übergewichtige Körper Botschaft genug ist.
72% der Bilder sind klar stigmatisierend, werden als lächerlich, krankhaft oder einfach als Symbol für „das Problem“ genutzt. Quelle
Positiv besetzte Bilder von übergewichtigen Frauen in der Werbung:
Obwohl z.B. in USA ca 67 % aller Frauen große Größen tragen gibt es nicht mal 2% der Bilder mit solchen Frauen, bei den Modemodells waren es 0,8% von sogenannten Looks plus-size und 4,3% der Mid-size Modells, auf 208 gezeigten Outfits. Quelle

Wer schon mal gesucht hat nach Klamotten größer als Größe 40 in Deutschland, der erzähle ich hier nix neues. Shirts die eigentlich Größe 36 sind und nur aufgepumpt wurden, jetzt sind sie zwar weit aber meistens viel zu kurz und schaun gruselig aus. Und zusätzlich kosten sie ein mittleres Vermögen, weil plus-size anscheinend vor allem ein Plus beim Preis ist.
Bei den internationalen Fashion Weeks (New York, London, Paris, Mailand) waren gerade 0,8 % der Looks plus‑size (US 14+), nur 4,3 % mid‑size, der Rest straight‑size. Plus-Size-Modelle blieben nahezu unsichtbar.
In Australien lag die plus-size-Repräsentation auf dem Catwalk bei mageren 1,1 %, mid-size bei 8,7 % – trotz einer durchschnittlichen Frauengröße von etwa 14–16.
News.com.au
Von 50 untersuchten Luxusmarken zeigten gerade einmal 15 mid- oder plus-size-Modelle, 70 % komplett nichts – weder im Kleidungsstil noch am Laufsteg.
Auch abseits der Laufstege sind große Größen ein Stiefkind
Nur 9 % aller Marken auf großen Modemärzten bieten regelmäßig Größen bis 20 oder darüber. In New York liegt der Anteil etwas höher (19 %), aber die große Mehrheit bleibt außen vor.
Auch bei großen Modehäusern: Viele ziehen sich aktuell aus Plus-Size-Linien zurück, nicht aus mangelnder Nachfrage, sondern weil die Logistik kostspielig ist oder sie eher auf „trendige Formate“ setzen als auf Konsistenz.
Echte Planung für große Größen ist in der Modebranche keine Selbstverständlichkeit. Runway-Inklusivität stößt immer noch an sichtbare Grenzen, und oft bleibt es bei Symbolik, nicht bei Strategie.
Aber es gibt sie, Designerinnen und Marken, die nicht nur ein paar größere Größen die nicht wirklich passen basteln, sondern echte Linien entwickeln, die Frauen jenseits der Norm sichtbar machen.

Sichtbarkeit ist kein Trend. Sie ist Selbstbestimmung.
Wir werden nicht gefragt, ob wir Platz machen wollen. Wir werden rausgeschoben.
Und wir haben viel zu oft still den Stuhl geräumt.
Sichtbarkeit ist kein Luxus, keine Gnade. Sie ist unser Recht, und unsere Verantwortung.
Denn jede, die sich zeigt, macht Platz für die Nächste.
Ich warte nicht mehr auf einen Hashtag. Ich hoffe nicht mehr, dass eine Redaktion, ein Designer oder eine Kamera entscheidet, dass Frauen wie ich „wieder passen“.
Wir passen längst.
Ob in knallroten Kleidern, in Jeans und Latzhose, mit grauen Locken oder raspelkurzen Haaren. Mit Körpern, die das Leben zeigen. Mit Gesichtern, die Geschichten erzählen.
Wir hören auf, um Erlaubnis zu bitten. Wir hören auf, uns zu entschuldigen. Wir hören auf, uns klein zu machen, um ins Bild zu passen.
Ab heute passen sich die Bilder an uns an.
#zeigdichbunt – jeden Tag.
Ich werd bunt bleiben, auch ohne Hashtag
bis denn dann
Toni vom Café Ruhepol

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