Fällt das nur mir auf, egal ob in Gesprächen mit Freunden, in den Kommentaren auf sozial Media, die Menschen hören gar nicht mehr zu was das Gegenüber sagt. Es wird irgendwie nur darauf gewartet, dass eine Lücke entsteht in die dann sofort eine Antwort geknallt wird.
Dabei geht es meistens gar nicht so sehr um das Thema, nur darum recht zu haben, eine Antwort zu geben. Wie oft die Antwort überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was vorher gesagt wurde, oder nur ein Wort aus allem gepickt wird und darauf dann sofort ein Label geklebt wird. Beängstigend.
Würden wir mehr zuhören und weniger reden hätten wir vielleicht weniger Streit und Spaltung überall.
Warum zuhören so wichtig ist
Es nimmt überall zu, sichtbar, hörbar. Wir hören einander nicht mehr wirklich zu.
Alle reden, aber nichts hat eine Resonanz beim Gegenüber.
Für mich klingt das manchmal wie „meine Meinung ist die richtige“, „gar nicht wahr, meine ist richtig“ bis hin zu „du bist doof und riechst nach Pipi“.
Warum können nicht beide Meinungen richtig sein?
Warum fällt es uns so wahnsinnig schwer andere Meinungen einmal sacken zu lassen und wirklich, ganz tief zu überlegen, ob da vielleicht auch was dran sein könnte?
Ich nehme mich da gar nicht aus, mir geht das auch oft so, dass ich mich dabei ertappe, dass ich nur 1-2 Sätze von jemandem lese und sofort abhake „ok, xxx Wähler:in, vergiss es“.
Wenn ich es merke, versuche ich zumindest das Argument zu verstehen. Es gelingt mir nicht immer, aber ich versuche zumindest zu sehen, woher mein Gegenüber gedanklich kommt.
Das bedeutet ja nicht, dass ich die Meinung übernehme oder für gut befinde, nur dass ich sie erst einmal annehme, darüber nachdenke und überprüfe ob ich nicht für mich etwas darin finde, was ich annehmen kann.
Nicht dass wir noch soweit kommen zuzugeben, dass wir im Unrecht sein könnten.
DAS auf keinen Fall. Ironie off.
Zuhören lernen, kompetent darin werden
Genau wie auf dem Bild ist es durchaus möglich, dass beide Seiten von ihrer Warte aus gesehen recht haben.
Das halten wir aber kaum aus.

Unser Gehirn liebt Sicherheit. Schwarz oder Weiß, klare Bahnen. Mehrdeutigkeiten wie die im Bild machen Angst, sie zwingen uns in der Unsicherheit, der Grauzone zu bleiben.
Nicht recht zu haben wird ganz schnell als Angriff auf das Selbstwertgefühl empfunden. Als ob nicht das Argument falsch wäre sondern „ich bin falsch“.
Leider lernen wir ja auch schon als Kinder und später in Schule und Job, dass Fehler als Versagen gewertet werden. Dadurch ist es natürlich schwieriger, einfach entspannt zu sagen „ok, du hast recht, ich hab mich geirrt“.
Wir gehen ja leider wieder zurück in eine Gesellschaft, in der Härte und Eindeutigkeit, Lautstärke belohnt werden. Beide könnten recht haben klingt weich, Ambivalenz mag ehrlicher sein, verkauft sich nur schlechter, bekommt weniger Aufmerksamkeit.
Auf allen Plattformen sind die Algos so programmiert, dass sie besser ausspielen je mehr ein Beitrag polarisiert. Nicht je differenzierter ein Thema behandelt wird.
Es kann Schwachsinn in Tüten sein der da steht, wenn es laut und plakativ ist werden genug darauf anspringen und die Views gehen durch die Decke.
Was dieses Schwarz Weiß mit uns macht
Derzeit wird es ja immer stärker, überall. Wir gegen die.
Das geht nicht mehr nur um Meinungen oder Argumente, wenn du diese Partei wählst kann ich nicht mehr mit dir kommunizieren, wenn du den gut findest streich ich dich aus meinem Freundeskreis….
Ich kann mich dran erinnern dass wir dieses Verhalten in der 1. Klasse hatten. „wenn du mit der spielst, bist du nicht mehr meine Freundin“. Aus dem Alter sollten wir aber doch ernsthaft alle raus sein.
Ok, schauen wir was da tatsächlich in unserem Kopf abläuft, wenn wir polarisieren.
Unser Gehirn ist faul, es spart Energie wo immer es möglich ist.
Das ist also nicht dumm sondern ein Reflex. Grauzonen auszuhalten, zu hinterfragen, darüber nachzudenken, das alles kostet Kraft.
Dann ist da die Amygdala, unser Alarmzentrum. Der ist es völlig egal, ob da gerade ein wütender Säbelzahntiger vor dir steht oder ein Mensch der nicht deiner Meinung ist. Angriff ist Angriff, also geht sie in vollen Verteidigungsmodus.
Anderseits belohnt uns unser Gehirn, wenn andere uns zustimmen.
Dann wird Dopamin ausgeschüttet, salopp gesagt körpereigene Drogen.
Die machen genauso süchtig, in diesem Fall nach Zustimmung, weil dann kommt ja wieder der Kick.
Kein Wunder, dass wir schneller ein Etikett vergeben als wirklich zuzuhören. „ah, ok, Reizwort xy gesagt, so jemand bist du also, dann bist du …“. Zack, fertig, nicht viel Energie verbraten und im Zweifel wieder einen Dopamin-Kick bekommen.
Szenen die ich so oder ähnlich immer wieder erlebe:
Im Meeting, Thema was weiß ich, z.B. Homeoffice-Regelung: Irgendwer meint „wir sollten 2 Tage verpflichtend ins Büro kommen, für den Teamgeist“. Der nächste hört nur „verpflichtend“ und legt sofort los „das ist Freiheitsberaubung, das geht ja gar nicht….“
Und schon ist aus dem Gespräch ein Gefecht geworden.

Niemand fragt nach, warum Teamgeist Person 1 so wichtig ist, oder was sie darunter versteht. Niemand fragt, was Freiheit für Person 2 genau bedeutet.
Statt dessen Fliegen die Fetzen, es werden Etiketten verteil wie Bürokrat, Egoist, Faulpelz, Kontrollfreak….
Das eigentliche Thema, wie die Zusammenarbeit möglichst gut organisiert werden kann, bleibt unbeachtet liegen.
Es geht nicht mehr um eine Lösung, nur noch darum zu gewinnen.
Ähnliches erlebe ich auch immer häufiger im privaten Bereich, vor allem wenn es um Politik geht. Da geht es nicht mehr darum einander zu verstehen, nicht um Inhalte, nur darum nicht klein beigeben zu müssen. Bis man dann nur noch über „neutrale“ ungefährliche Themen spricht, damit es keinen Streit gibt.
Können wir heute andere Meinungen weniger gut aushalten als früher?
Auch dazu hab ich mal ein bisschen recherchiert.
Die Antwort ist ein klares Jain.
Früher liefen Diskussionen langsamer ab, wir hatten mehr Zeit die Argumente für uns allein sacken zu lassen, sie zu verarbeiten und für uns einzusortieren. Informationen kamen über die Zeitung, Stammtisch, Radio und Fernsehen zu uns, nichts worauf sofort 24/7 reagiert werden musste/kann.
Dazu kommt halt auch noch, früher waren wir in engeren Gemeinschaften, waren Nachbar:innen, Kolleg:innen, Familie. Unterschiedliche Meinungen haben daran nichts geändert.
Heute sind unsere Zugehörigkeiten zu Gemeinschaften brüchiger, nicht mehr so sichter.
Früher war einfach auch der Zwang da, die Unterschiede auszuhalten, wir waren aufeinander angewiesen. Heute findet man gefühlt in der digitalen Bubbel immer eine Blase, die perfekt passt. Also wozu sollte unser Gehirn die Energie aufwenden?
Nennt sich Ambiguitätstoleranz (hach ich kann Fremdwörtisch)
Diese Grauzone ist kein Feind, sie ist der Raum, in dem wir alle uns begegnen können.
Schlicht aushalten dass nicht alles schwarz oder weiß ist, dass unterschiedliche Ansichten nicht bedeuten müssen, dass eine davon falsch ist.

Wozu es führen kann wenn wir immer mehr polarisieren und weniger zuhören
Ja ich bringe den Vergleich mit 1933, wo es nur noch eine Meinung geben durfte. Und mit der DDR wo andere Meinungen ebenfalls gefährlich wurden.
Und mit den USA heute, wo es wieder Listen mit verbotenen Büchern gibt, die tagtäglich länger werden
Einfach weil ihre Inhalte einigen Menschen nicht in ihr Weltbild passen. Deshalb müssen Universitäten aufhören bestimmte wissenschaftliche Inhalte zu lehren, werden geschichtliche Dokumente aus Museen entfernt, Journalisten werden mehr und mehr zensiert, Late Night Shows abgesetzt…..
Wollen wir das wirklich? Auch bei uns, in Deutschland, in ganz Europa gibt es mehr und mehr Parteien die genau das als den Traum ansehen. Sie dürfen alle anderen zwingen, sich einem Weltbild zu unterwerfen.
Darüber habe ich auch schon in Gendern, das Schreckgespenst der Sprache geschrieben, da wird ein simpler Doppelpunkt oder das Gendersternchen als Untergang der Zivilisation betrachtet.
Das ist nicht das Deutschland in dem ich leben will.
Wenn wir nicht lernen, wieder unterschiedliche Meinungen auszuhalten, die Argumente von den Menschen zu trennen, dann werden wir all das wieder verlieren, was Deutschland, Europa so lebenswert macht.
Auch wenn jemand anderer Meinung ist als ich, ist es trotzdem ein Mensch der respektiert werden will, der gesehen und gehört werden will.
Niemand ist nur schwarz oder weiß, jemand kann Ansichten haben, die absolut von unseren Werten abweichen, und trotzdem ein hilfsbereite:r Nachbar:in, liebevolles Elternteil sein. Das eine schließt das andere nicht aus.
Auch das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.
Ich will, dass wir endlich aus der Vergangenheit lernen und weiterkommen, als Menschen, als Gesellschaft, als Gemeinschaft.
Zuhören ist nicht einfach aber so verdammt wichtig.
Bis dann
Toni vom Café Ruhepol

Glossar
Die Amygdala oder der Mandelkern ist ein Teil des limbischen Systems.
Die Amygdala spielt allgemein eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren:[1] Sie verarbeitet externe Impulse und leitet die vegetativen Reaktionen dazu ein. Die Amygdala ist wichtig für die Empfindung von Angst oder Furcht.
Quelle Wikipedia
Dopamin (DA, Kunstwort aus DOPA und Amin) ist ein biogenes Amin aus der Gruppe der Katecholamine und ein wichtiger, überwiegend erregend wirkender Neurotransmitter des zentralen Nervensystems. Es wird für eine Vielzahl von lebensnotwendigen Steuerungs- und Regelungsvorgängen benötigt, bspw. verursacht es Motivation.
Quelle Wikipedia
Ambiguitätstoleranz (v. lat. ambiguitas „Mehrdeutigkeit“, „Doppelsinn“ und tolerare „erdulden“, „ertragen“), teilweise auch als Unsicherheits- oder Ungewissheitstoleranz bezeichnet, ist die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen zu ertragen. Ambiguitätstolerante Personen sind in der Lage, Ambiguitäten, also Widersprüchlichkeiten, kulturell bedingte Unterschiede oder mehrdeutige Informationen, die schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheinen, wahrzunehmen, ohne darauf aggressiv zu reagieren oder diese einseitig negativ oder – häufig bei kulturell bedingten Unterschieden – vorbehaltlos positiv zu bewerten Quelle Wikipedia
Nein, damit bist du nicht alleine, das fällt auch mir auf. Und auch, dass uns die „sozialen Medien“ in der Richtung trainiert haben. Und auch ich wünsche mir, dass wir wieder mehr aushalten können, wenn nicht alles 100% übereinstimmt und dass wir wieder mehr aufeinander zugehen, auch wenn ich gleichzeitig sehr gerne selber recht habe ;) Immerhin bin ich mir dessen bewusst.
Liebe Grüße
Angela