Manchmal trifft es mich völlig unerwartet.
Ein Post, ein Bild, ein Kinderlachen.
Irgend ein Satz, der nicht für mich gedacht war.
Und plötzlich ist da wieder dieser Riss.
Wie ein alter Bekannter, der unangemeldet vor der Tür steht.
Kein offener Bruch. Eher ein Haar in der Schüssel meines Lebens.
Aber ich seh ihn. Immer wieder.
Ich hab nie ein Kind bekommen.
Nicht aus Gleichgültigkeit. Nicht aus Karrieregründen.
Ich wollte.
Mein Körper nicht.
Ich war ungewollt Kinderlos.
Ich hab nicht getrauert wie andere. Kein Grab, keine Diagnose, kein „Sie sind leider unfruchtbar“. Nur dieses langsame Verstummen der Hoffnung. Zyklus für Zyklus. Jedes Mal ein vielleicht. Und dann wieder: nichts.
Ich war wütend. Auf meinen Körper. Auf die Medizin. Auf das verdammte Universum.
Und dann auf mich.
Weil es sich anfühlte als hätte ich versagt.
Als Frau. Als Mensch.
Weil ich dachte: Eine Gebärmutter, die keine Kinder bekommt, ist irgendwie… nutzlos.
Ich weiß heute, wie falsch das ist. Aber der Gedanke war da. Tief. Hartnäckig. Er saß da wie ein stiller Richter. Und ich hab ihm lange geglaubt.
Ungewollt kinderlos
Heute weiß ich: Ich bin nicht leer. Ich bin nicht weniger. Ich bin nicht „ungefüllt“, nur weil ich kein Kind geboren habe.
Ich bin nicht kinderlos. Ich bin lebenvoll. Voll von Geschichten, Entscheidungen, Liebe, Scheitern, Neuanfängen.

Familie ist kein Geburtsrecht. Familie ist das, was bleibt, wenn du fällst – und jemand auffängt. Manchmal sind das Freunde. Manchmal bist du es selbst. Und manchmal ist es das Leben, das sich leise zu dir setzt und sagt: Ich bin da.
Ich bin keine Mutter. Aber ich habe genährt. Ideen. Menschen. Räume. Ich habe gehalten, gelauscht, begleitet. Ich habe Liebe gegeben, ohne Rückversicherung.
Und auch wenn kein Kind Mama zu mir sagt – ich weiß: Ich bin Ursprung. Ich bin Raum. Ich bin genug.

zwei kleine Impulse
Ich hab Brainstorming mit Chattie gemacht zu diesem Thema. Sie hat mir zwei Impulse gegeben die ich gut finde und deshalb auch weitergeben möchte.
1. schreib dir einen Brief.
Nicht an dein ungeborenes Kind, sondern an dich, dein heutiges Ich.
An die Frau, die all das getragen hat, die Hoffnung, die Wut, die Leere, das Weitergehen.
Nicht hypothetisch. Nicht rückblickend.
Sprich laut, oder schreib:
Ohne Schleife. Ohne Erklärungen. Nur den Satz, der raus will.
2. Nimm dir die Zeit in dich hineinzufühlen
Was nähre ich, auch ohne es zu merken?
Welche Menschen, Projekte, Beziehungen (ja auch Pflanzen oder Tiere), wachsen, weil du da bist?
Nicht aus Pflicht oder Funktion, sondern weil du Liebe gibst. Raum und Halt gibst.
Vielleicht bist du längst Mutter, nur auf eine Weise, die keine Windeln braucht.
Über sowas spricht Frau doch nicht, will auch keiner hören!
Wir reden nicht darüber, nicht im Job, nicht oder extrem selten im Freundeskreis…
Ungewollt kinderlos zu sein ist immer noch ein Tabuthema. Zu persönlich, zu emotional, zu unbequem.
Dabei sitzt es mitten im Raum – bei so vielen von uns.
Die stille Scham.
Die spitzen Bemerkungen: „Na, bei dir tickt die Uhr wohl nicht?“
Die unausgesprochenen Urteile:
„Keine Kinder? Karrierefrau.“
„Keine Kinder? Irgendwas stimmt da doch nicht.“
Und gleichzeitig:
Bekommst du keinen Job, weil du ja schwanger werden könntest.
Kriegst du keine Führungsposition, weil du bald ausfallen könntest.
Wirst du mit 40 komisch angeschaut, weil du immer noch keine Kinder hast.
Wir werden ständig über unsere Fruchtbarkeit definiert,
und gleichzeitig dafür bestraft.
Das ist kein persönliches Problem. Das ist eine Zumutung.
Und der Schmerz, der dabei entsteht, wird zur Privatsache erklärt. Bitte still leiden. Bitte nicht thematisieren. Bitte keine Tränen im Teammeeting. Bitte kein Babyneid im Kolleginnenkreis.
Ich sag’s, wie es ist: Ich bin keine wandelnde Eizelle. Ich bin kein Ausfallrisiko. Ich bin kein halber Mensch, nur weil ich kein Kind bekommen habe.
Ich bin vollständig. Wütend. Und sowas von lebendig.

Laßt uns mal raus aus den Emotionen und rein in die Zahlen gehen
In Deutschland endet etwa jede fünfte Frau im Alter zwischen 45 und 49 Jahren ungewollt kinderlos. Die sogenannte endgültige Kinderlosigkeit liegt konstant bei rund 20 % seit 2012
laut Statistischem Bundesamt
Biologische Faktoren
Das Alter ist entscheidend: Mit zunehmendem Alter sinkt die Fruchtbarkeit. Viele suchen erst spät Hilfe, manchmal zu spät. Studien zeigen, dass 8–12 % aller Paare global ungewollt kinderlos sind.
Klingt schlau, „manchmal zu spät“, aber wer geht denn schon mit 30 zum Doc nur weil es bis dahin noch nicht geklappt hat. Für mich war das damals noch nichts worüber ich mir Sorgen gemacht habe.
Im Wikipedia gibt es einen riesen Artikel über deutsche Frauen, schon gigantisch, dadrin steht auch etwas über unsere Gesundheit und Reproduktionsrate, aber auch über den Historischen Kontext, sogar über Gewalt gegen Frauen, sehr lesenswert.
Natürlich gibt es auch Studien über Gesellschaftliche Normen und Stigmata zum Thema:
Kinderlosigkeit wird oft als Defizit gewertet, als Lebensversagen, als wären wir Brutkästen auf zwei Beinen. Wikipedia
Klischees wie „karrieregeil“ oder „beziehungsunfähig“ beschreiben Frauen ohne Kinder oft mit spitzer Zunge.

Wie immer: Let´s talk about money
Was kostet uns das, persönlich und gesellschaftlich?
Individuell: Kosten durch medizinische Eingriffe, psychische Belastung, soziale Isolation und Karriereeinbußen, die oft nicht abgesichert sind.
Gesellschaftlich und wirtschaftlich?
Durch die sinkenden Geburtenraten steigen die Belastungen und Druck auf die Sozialsysteme, derzeit haben wir eine Geburtenrate von ca 1,2 Kindern pro Frau….
Ungewollt kinderlos, wie ein Verwaltungsfehler im System Körper
Jede 5. Frau in Deutschland bleibt ohne Kind, oft nicht weil sie es so gewählt hat, sondern weil das Leben es so eingerichtet hat.
Weil Diagnosen zu spät kamen
Weil kein Partner da war
Weil der Job keine Luft lies
Weil niemand gesagt hat: Du darfst das wollen, es ist auch ok traurig zu sein, wütend. Oft war auch niemand da der gesagt hat „Ich halte dich, ich seh dich, mit all deiner Trauer, deiner Wut. Es ist kein Versagen“
Statt dessen kommt eher:
„na, der ist wohl die Karriere wichtiger gewesen.“
„Nicht Frau genug dafür“
„Selber schuld, heutzutage kann man da doch jede Menge tun wenn du es wirklich willst“…..
Ich hab lange gebraucht um mir selber sagen zu können:
Ich bin nicht leer.
Ich habe nicht versagt.
Ich bin nicht defizitär.
Ich bin Raum, ich bin Ursprung, ich bin Frau, ich bin genug.
Auch ohne Kind.
Und jetzt sage ich es dir wenn du es hören möchtest.

Wir sind sehr viele
Und wir geben nicht auf.
Auch wenn es verdammt weh tut.
Auch wenn es niemand hören will.
Auch wenn wir es oft allein sagen müssen:
Ich bin nicht weniger, ich bin genug, ich bin da.

Das war heute mal etwas emotionaler und sehr persönlich. Trotzdem finde ich es unheimlich wichtig auch darüber zu sprechen.
Bis neulich denn
Toni







