It is a mans world. So sollte dieser Beitrag eigentlich heissen.
Je weiter ich mich ins Thema gedacht und recherchiert habe, desto klarer wurde mir, wieviel mehr dahinter steckt.
Es ist irgendwie, als ob wir alle in völlig unterschiedlichen Parallelwelten leben.
Jede:r für sich.
Nur zufällig räumlich auf dem gleichen Planeten.
Menschen, die nicht bemerken, wenn andere Personen direkt neben ihnen gerade sexuell belästigt werden.
Frauen, die nicht wahrnehmen, wie sehr die Frau neben ihnen gerade diskriminiert wird, egal ob als Rabenmutter, Karrieremum oder Kopftuchträgerin.
Nicht weil wir alle wegschauen.
Wir sehen es tatsächlich nicht.
Wir alle haben unsere Scheuklappen
Ich hab jetzt ganz bewusst nicht „blinde Flecken“ geschrieben.
Das würde wieder implizieren, dass Blindheit per se etwas negatives sei.
Würden wir ohne diese „Scheuklappen“ unterwegs sein, ständig alles wahrnehmen, wir könnten de Facto nicht mehr funktionieren. Unsere Gehirne würden im Informationschaos implodieren. Auch eine Möglichkeit, sich in den Burnout zu beamen. Muss nicht sein.
Andererseits sollten wir schon immer wieder überprüfen, was wir alles nicht sehen.
Dafür schaffen wir Awareness-Programme, sprechen immer wieder darüber wie z.B. wie Sprache Wirklichkeiten schafft, durch Worte wie Blinder Fleck Bilder in unseren Köpfen entstehen lässt, auch wenn wir uns dessen kaum bewusst sind.
Überall eine „Norm = Mann“, oft unsichtbar aber immer da
Bisher war die „Norm“ Mann, ca 1,75m, einigermaßen sportlich, gesund, körperlich stark.
Nach dieser Norm werden Medikamente getestet, Krankheiten und ihre Symptome erforscht. Weibliche Körper funktionieren aber anders. Verstoffwechseln anders, haben andere Symptome.
Die Norm wurde auch verwandt in der Industrie, Sicherheitsgurte, die uns kleineren Frauen am Hals hängen anstatt über dem Oberkörper, Sicherheitskleidung und -schuhe, die es nicht in kleinen Größen gibt, Möbel die für uns schlicht zu hoch sind.
Beim Wandern, Rucksäcke die für Frauen zu groß sind, daher voll gefüllt falsch am Rücken sind, einseitig belasten.
Das gilt auch fürs Gendern. Was es in der Sprache nicht gibt, gibt es auch in unseren Köpfen nicht. Darüber habe ich in Gendern, das Schreckgespenst der Sprache schon einmal geschrieben.
Wir schaffen Sensibilisierungsprogramme, Schulungen, und vieles davon ist überlebenswichtig.
Nur wenn Frauen, und alle anderen marginalisierten Gruppen, nicht mehr nur mitgemeint werden, sondern durch Sprache sichtbar gemacht werden, werden sie tatsächlich auch mitgedacht.

Nur so werden Medikamente auch für Frauen gezielt erforscht und nicht einfach nur heruntergerechnet. Krankheiten werden auch bei Frauen untersucht, vielleicht wird ein weiblicher Herzinfarkt dann endlich öfter rechtzeitig erkannt und behandelt.
Möbel und Sicherheitsklamotten werden auch für kleinere Menschen und Frauen entwickelt. Vielleicht für manche Designer eine Überraschung, aber der Körperschwerpunkt einer Frau ist teilweise anders als bei Männern.
Ja ich weiß, It is a mans world. Wollen wir das dauerhaft so haben?
Gesehen werden, andere sehen, anders sein
Wir alle, jede:r einzelne von uns will gesehen werden. Wirklich gesehen, verstanden und wahrgenommen werden. So wie wir sind, mit allen unseren Facetten und Eigenheiten.
Für viele braucht es Safe Spaces, Räume in denen sie sich sicher fühlen dürfen. Was außerhalb leider oft nicht geht, sie passen nicht in die „Norm“ und werden daher angefeindet.
Genau dafür habe ich das Café Ruhepol geschaffen.
Ein Raum, in dem Frauen nicht ständig funktionieren, kämpfen oder sich erklären müssen.
Wo niemand bewertet, wieviel sie schaffen, wo sie statt dessen einfach sein dürfen.
Hier gehts nicht um Flucht, sondern ums Atemholen.
Um eine kleine Gegenwelt, in der spürbar wird, wie es wäre, wenn Gleichgewicht selbstverständlich wäre.
Nicht nur Frauen passen nicht in dieses Schema, wir sind dran gewöhnt, wir werden seit Jahrtausenden offen klein gehalten, als Gebärmaschinen benutzt, für Machtspielchen und die Lust der Männer.
Aber auch Männer passen nicht immer in das Schema.
Weil sie zu klein sind, zierlich, weil sie homosexuell sind, „Frauenberufe“ haben, zu sanft sind, Gefühle zulassen können, nicht weiß sind, behindert oder chronisch krank sind, ……
Alle die aus der Norm fallen, erleben dieselbe Abwertung.
Manchmal kippt dieses Bedürfnis gesehen zu werden, mit allen Eigenheiten aber leider auch etwas ins Absurde.
Wir sind alle Individuen, Jede:r ist anders.
Kennst du die Szene aus „das Leben des Brian“? Wo er oben am Balkon steht und zur Menge spricht: „Wir sind alle Individuen, wir sind alle unterschiedlich“ und von unten kommt eine Stimme „ich nicht“.
Ja jede:r von uns ist anders irgendwie.
ABER
Wenn wir verlangen, für jedes Anderssein eine eigene Awarness-Kampagne gestartet wird, dann drehen wir uns wieder im Kreis, dann wird es doch wieder nur ein Einheitsbrei.

Awareness schön und gut.
It is a mans world.
Immer noch.
All die schönen Programme lösen aber nicht unser Grundproblem:
Wir sehen immer nur das, was uns persönlich betrifft.
Was nicht in unsere Welt passt, wird meistens ausgeblendet.
Wir müssen wieder lernen miteinander zu leben, nicht nur nebeneinander.
Egal wie unterschiedlich wir sind, egal ob jemand mit allem was und wie, in unser Weltbild passt.
Aushalten, dass viele Meinungen gleichzeitig stimmen können, es viele unterschiedliche Lebensentwürfe geben kann und alle ihre Berechtigung haben.
Achtsam miteinander umgehen, aber nicht als Selbstzweck, um damit wirkliche, notwendige Veränderungen zu vermeiden. Achtsamkeit um wirkliche Veränderungen für alle zu bewirken.
Männliche Sprache, weibliches Aushalten?
Egal ob Catcalling, Pseudokomplimente, dämliche Witze oder wie jetzt auf dem Oktoberfest, Flyer für Frauen, wie sie sich schützen sollen, vor männlichen Übergriffen. Weil so verdammt viele Männer es immer noch als etwas normales, beinahe erlaubtes ansehen, ihre Finger überall zu haben. Als ob es selbstverständlich sei, dass es erwünscht ist.
Ja es war seit Jahrtausenden normal, Frauen waren Ware, ein Besitz über den Männer verfügen konnten wie sie wollten. Das WAR einmal.
Sexistische Bemerkungen sind sexistisch, ob die schon dein Papa gemacht hat ist völlig egal. Frauen sind keine Sachen, keine „Süße“, Dingelchen oder Püppchen.
In der Sprache werden Frauen und alle anderen Geschlechter immer noch „mitgemeint“ anstatt mitgesprochen.
In vielen Berufen und Jobs wird nach wie vor so getan als müssen sich alle an die Norm Mann angleichen, anstatt endlich aktiv die Strukturen zu verändern, damit sie für alle funktionieren.
Privilegien nicht loslassen wird nicht mehr funktionieren auf Dauer.
Auch darüber habe ich im Beitrag Privilegien, sowas hab ich doch gar nicht ausführlich geschrieben.
Schubladendenken, ja, manchmal brauchen wir das
Niemand will gerne in eine Schublade gesteckt werden, Deckel zu und fertig.
Nur ohne Schubladen können wir nicht leben.
Unser Gehirn braucht Muster, die es einordnen kann, um nicht zu kolabieren.
„Säbelzahntiger = Gefahr“
Nicht
„Säbelzahntiger, vielleicht ist er ja ein netter“.
Es mag vereinfacht sein, aber genauso funktioniert unser Gehirn auch heute noch.
Was wir kennen wird entsprechend einsortiert, damit wir schnell reagieren können.
Was wir nicht kennen, macht uns nervös.
Die Frage ist nicht, ob wir Schubladen brauchen, sondern, was wir tun, wenn jemand nicht reinpasst.
Ausgeblendete Flecken und fehlende Resonanz
Es ist erschreckend normal, dass wir nur wahrnehmen, was in unsere Weltsicht passt.
Dass viele Männer gar nicht merken, wie sehr Frauen sich im Alltag schützen.
Dass gesunde Menschen die Barrieren nicht bemerken, die für so viele im Alltag vorhanden sind.
Dass gut Sehende nicht nachvollziehen können, was zu kleine Schrift oder viele Emojis für jemanden bedeutet, der/die kaum oder gar nicht sehen kann.
Wir leben nebeneinander, aber eben nicht miteinander.
Das hat sich bei allem Fortschritt nicht geändert bisher.
Weil die Norm halt immer noch Mann, gesund, 1,75m, körperlich kräftig, halbwegs sportlich (und meistens emotional abgeschottet) ist.
Diesen „Normmann“ gibt es aber nicht. Niemand passt zu 100% in diese Schablone.
Vielleicht zu 75%, der Rest wird passend gemacht, oder macht sich selbst passend.
is it still a man´s world?
Es ist irgendwie widersinnig: Einerseits wehren wir uns so oft mit Händen und Füßen dagegen, dass Menschen die nicht in unser Weltbild passen, sichtbar werden.
Kulturkrampf und entsetzliches Gendern. Wegen dieses dämlichen Sternchens gehen manche an die Decke als wäre der Teufel selbst drin.
Homosexualität wird verteufelt, ganz ehrlich, was ändert sich in deinem Leben wenn sich nebenan zwei Männer oder zwei Frauen lieben? Genau, garnix.

Dabei ist es doch so: Je mehr wir uns öffnen, desto mehr gewinnen wir alle.
Wir selbst haben ja auch Angst, Angst vor allem, was uns aus der „Norm“ schiebt.
Jede*r von uns kann krank werden, einen Unfall haben, behindert werden.
Die Chance ist groß.
Trotzdem wird bis aufs Blut gekämpft damit so „woke, linksgrünversiffte“ …. wie Barrierefreie Schriften, Gendersternchen, Leitlinien für Sehbehinderte auf der Straße, weniger Stufen, höhenverstellbare Möbel etc. , also Dinge, die ALLEN helfen würden, keinesfalls die Norm werden.
Weil sie ja nur Extrawurst für „Einzelne“ sind.
Als ob jemandem etwas weggenommen wird, wenn die Strukturen für alle verbessert würden.
Dabei ist doch das Gegenteil der Fall.
Je mehr wir öffnen, je mehr wir andere sehen, andere Lebensentwürfe, andere Lebensrealitäten, Meinungen und Argumente, desto mehr profitieren wir doch alle davon.
Ja es ist anstrengend über den Tellerrand zu schauen. Ja es nervt manchmal, dass andere nicht so sind oder denken wie wir. So what?
Als ich aufgewachsen bin war das exotischste Gericht dass ich kannte Pizza aus der Pizzeria am Ort. Döner, Chinesisch, Japanisch oder was weiß ich nicht alles gab es nicht.
Heute bestellen wir völlig natürlich Sushi, essen mit Stäbchen, kennen den besten Döner der Stadt, gehen zum Araber, Türken, Chinesen, Japaner ……
Wenn wir uns so selbstverständlich an das alles gewöhnen können, warum nicht auch an den Rest dieser Kulturen? Ja die haben manchmal andere Religionen, andere Bräuche, andere Ansichten.
Sie haben aber genau wie wir Bindungen, Beziehungen, Freundschaften, Familien, lieben genau wie wir, sind genauso traurig, verwirrt und überfordert. Sie bluten wenn sie sich verletzen, genau wie wir. Und ihr Blut hat die gleiche Farbe wie unseres.
Vielleicht brauchen wir nicht nur Awareness sondern wieder ein Bewusstsein für die Gemeinschaft. Nicht weniger Unterschiede oder alles gleich machen, nur die Bereitschaft die Unterschiede auszuhalten, vielleicht sogar zu genießen.
Wir werden die Scheuklappen nie loswerden, aber wir könnten aufhören sie zu pflegen und sie gelegentlich mal lüpfen.

zwischen Wahrnehmen und Aushalten
Mir fehlt manchmal eine Art gesunder Gleichgültigkeit. Nicht als Abwehr sondern als innere Grenze.
Ein Leben und Leben lassen, das nicht ständig kommentiert, bewertet und in Schubladen zwingen will.
Irgendwie nehmen wir heute alles sofort persönlich.
Alles ist sofort ein Angriff auf die eigene Identität, nicht mehr nur eine andere Meinung.
Wir wollen kaum noch raus aus unserer weichgepolsterten Bubble, dorthin wo es Reibung gibt, unbequeme Meinungen, Menschen die nicht so leben wie wir.
Widerstandskraft ist aber doch kein Mangel an Mitgefühl.
Sie ist nur eine Fähigkeit, die, sich nicht von allem mitreißen zu lassen.
Wie ein innerer Muskel, der trainiert werden muss damit er stark bleibt.
Ein Muskel, der uns hilft, wir selbst zu sein, egal wie andere uns sehen.
Und egal wie wir die anderen sehen.
Was ändert es denn an meinem Leben, wenn meine Nachbarn auf lila Haare stehen und ich die doof finde? Oder jemanden lieben, bei dem ich es nicht verstehen kann.
Ein Stück Eigenverantwortung, statt alles vom System zu verlangen
Das hab ich schon in Wer ist eigentlich „das System“? geschrieben. Wir sind das System, jede*r einzelne von uns.
Wenn wir immer alles in Watte packen, damit ja nichts und niemand uns verletzt, eine andere Meinung hat, oder uns schlicht nicht mag, dann werden wir wie eine Tropenpflanze im deutschen Winter eingehen. Schlicht weil wir keinerlei Widerstandskraft haben, wir werden unbeweglich und weniger lebendig.
Was hat uns diese mans world bisher gebracht?
Sehr viele Erfindungen, kulturelle Errungenschaften (wobei die teils großartigen Beiträge vieler Frauen da sehr massiv unterdrückt oder schlicht geklaut worden sind)
Aber auch die Zerstörung der Natur, unserer Lebensgrundlage.
Klimakrise, jede Menge Kriege, Gewalt, Leid…..
Wollen wir das wirklich weiterhaben? Wenn nicht, wird es wirklich Zeit etwas zu ändern.
Unterschiede anzuerkennen, auszuhalten. Gemeinschaftlich überlegen und handeln, anstatt immer zu spalten und zu herrschen.
Nur Profite zu machen bringt uns nicht mehr weiter, da ist das Ende der Spirale definitiv erreicht.
Ja wir alle müssen da viel neu lernen, viele alte Muster hinterfragen und teils verschrotten.
Weitermachen wie bisher klappt einfach nicht mehr.

Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr Dinge sehe ich die dringend geändert werden müssen.
Bis denn dann
Toni vom Café Ruhepol