Ganz ehrlich, ich liebe es nicht mehr so jung zu sein, ich bin 61 und ich liebe es.
Nicht weil ich früher dümmer war, oder heute die weise alte Frau bin.
Sondern weil ich inzwischen ganz gut weiß, was ich behalten will, was ich getrost gehen lassen kann.
Ich bin heilfroh, in einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der es kein Internetarchiv meiner Jugendsünden gab.
Keinen Screenshot meiner ersten Liebesbriefe, keinen digitalen Pranger für jeden Blödsinn den wir gemacht haben.
Unsere Peinlichkeiten verschwanden sofort wieder.
Sommerferien waren bei uns nicht mit Dauerbespaßung und Programm sondern: „Schwingt euch aufs Fahrrad und haut ab ins Freibad. Was solls wenn das 10 km entfernt ist, fahr los. „
Nicht lange planen oder posten, nicht performen oder fotografieren. Ab aufs Fahrrad und los gings.
Wir waren dauernd draußen, ohne Handy und Dauerkontrolle.
Heimkommen war, wenn die Straßenlaternen angegangen sind.
Mit aufgeschürften Knien, dreckigen Klamotten und Sand im Haar.

Gut daß du deinen Fundus hast
Ja das ist tatsächlich ein Bild von mir mit ca 16. Meine beste Freundin von damals hatte es noch bei sich und per Zufall gefunden.
Ich bin 61 und heilfroh um jede Erfahrung die ich machen durfte.
Und überlebt habe. Vieles was wir getrieben haben, war nicht so schlau, würd ich heute sagen.
Ich bin froh drum, nicht weil sie alle so super schön waren, sondern weil sie mich geerdet haben.
Heute lasse ich mich nicht mehr so schnell verrückt machen, nur weil jemand schneller ist, erfolgreicher wirkt oder lauter postet.
Ich bin da wo ich bin und das ist ok für mich. Das ist verdammt viel und es ist meins.
Mein Tempo, meine Richtung, mein Weg.
Die Jugend heute ist nicht dumm oder faul.
Sie ist erschöpft glaub ich, überfordert weil sie permanent auf Sendung ist.
Weil sie sich ständig gegen Einflüsse wehren muß, die wir noch nicht mal kannten.
Weil sie all das lernen muß was wir auch gelernt haben, nur jetzt unter Dauerbeobachtung.
Da war ich ca 20, danke Mausi für das Bild
Ganz offen, ich möchte heute keine 20 mehr sein.
Den Körper einer 20 jährigen hätt ich gerne, geb ich gern zu. Auf all die Schmerzen und Krankheiten könnte ich gut verzichten.
Aber nicht diesen Druck haben, nicht diese Unsicherheit durch den ständigen Abgleich mit aufgepimpten Fotos, Lebensläufen etc.
Da bin ich dann dankbar für jedes Zipperlein, daß mich dran erinnert daß ich schon verdammt lange da bin.

Früher war eine Frau mit 50 wirklich alt.
Nicht nur im Kalender, im Gesicht, in der Haltung, in ihrer Rolle.
Mit 60 warst du Oma oder alte Jungfer. Ende.
Nicht Gründerin, Globetrotterin oder nochmal ganz neu auf Kurs.
Wenn du da noch was vorhattest im Leben, warst du …. sagen wir mal ein bisschen merkwürdig.
Eine Träumerin, lächerlich.
Und eine Frau damals in meinem heutigen Alter, nie verheiratet…?
Mit der kann was nicht stimmten, hat wohl keinen abbekommen.
Da muß was schiefgelaufen sein.
Die ist ist so eine merkwürdige Frau.
Wir alle kannten diese imaginären Bilder der alten Jungfer, einsam in ihrem Haus, mit ihren Katzen…. Es wurde ein bisschen mitleidig aber auch herablassend über sie gesprochen.
Nicht respektvoll, sie galt als schräg, skuril, eine die nicht in den Plan paßte.
Nicht als eine die frei war, unabhängig.
Heute bin ich eine Einsteigerin ins Leben, nix alte Jungfer. Meine Falten gehören zu mir. Jede einzelne davon.

Da war ich vermutlich auch so ca 14-15. Immer lange Zöpfe und an den Nägeln rumkauend.
Erkennt mich jemand auf diesen Bildern wieder?
Viele Frauen meines Alters arbeiten noch, oder fangen nochmal was neues an. Aber warum?
Bei sehr vielen, weil sie einfach Spaß dran haben.
Weil sie unter Menschen sein wollen, die Struktur am Arbeitsplatz mögen.
Aber leider auch sehr viele weil sie keine große Wahl haben.
Flaschensammeln ist nicht so richtig witzig und die Konkurrenz dabei wird immer größer.
Durchschittsrente bei Frauen ist ca 936 €. Im Vergleich, bei Männern ist sie 1427 €.
Mehr als eine halbe Mio RentnerInnen sind in Grundsicherung, der Großteil davon Frauen.
Damit kann man leider noch nicht mal mehr die Miete bezahlen, geschweige denn mehr als nur das absolute Überleben hinbekommen.
Zahlenquizz, hättest du es gewußt?
Wettbewerb um Freiheit? Check. Jetzt kurz geschmunzelt – mit Fakten:
Frauenwahlrecht Deutschland: seit 1918/19, sofort nach dem Ersten Weltkrieg
Frauenwahlrecht Schweiz: auf Bundesebene erst am 7. Februar 1971 (Es war eines der letzten Länder weltweit, das abstimmte)
Bis 1990 galt: im Kanton Appenzell Innerrhoden durften Frauen immer noch nicht kantonal wählen, bis Bundesgericht eingriff
Erst als am 1. Juli 1958 das Gleichberechtigungsgesetz für Männer und Frauen in Deutschland gültig wurde, durften Ehefrauen auch nach der Heirat eigenes Vermögen haben und ein eigenes Konto besitzen.
Frauen dürfen ohne Erlaubnis des Ehemanns arbeiten gehen
Auch das änderte sich mit dem Gleichberechtigungsgesetz von 1958. Aber: Noch bis 1977 durfte eine Frau in Westdeutschland nur dann berufstätig sein, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war.
§ 1300 BGB a.F.
(1) Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet, so kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1298 oder des § 1299 vorliegen, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.
(2) Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist

Ob ihrs glaubt oder nicht, dieser Paragraph wurde sage und schreibe am 1.Juli 1998 aus dem BGB gestrichen. 1998!!!
Was Chattie nicht übers Kranzgeld weiß:
Dieses Gesetz wurde zum Teil deshalb gestrichen bzw schon seit Jahren kein solcher Fall mehr angenommen, nicht wegen Gleichberechtigung oder solchem neumodischen Zeug, nein, weil die betroffenen Männer immer mit einer Horde ihrer Kumpels aufgelaufen sind vor Gericht, und alle geschworen haben, sie hätten auch was mit der Frau gehabt. So wäre sie endgültig „wertlos“ gewesen für den Heiratsmarkt und verschrien bis dorthinaus.
Kein Kranzgeld. Kein Ansehen. Kein Schutz. Nur öffentliche Demütigung.
Viele Frauen zerbrachen daran, sie wurden von ihren Familien teilweise verstoßen.
Manche nahmen sich das Leben.
Nicht, weil sie naiv waren.
Sondern weil ein System ihnen gesagt hat: Du bist nur etwas wert, solange du unberührt bist. Und still.
Diese Doppelmoral, hat mich schon damals im BGB-Unterricht angekotzt.
Aber haben wir das nicht heute noch immer?
Männer die viele Frauen haben = tolle Hechte
Frauen die viele Männer haben = Schlampe….
Immer noch in den Köpfen
Was durften Frauen in der BRD nicht?
Die Frau durfte nicht einmal ein eigenes Konto führen, auch nicht, wenn sie selbst Geld verdiente. Der Mann konnte – ohne ihr Wissen – auch bei ihrem Arbeitgeber kündigen, um ihre Berufstätigkeit zu beenden. Selbst in Erziehungsfragen hatte der Mann die alleinige Entscheidungsgewalt.
Und er hat das Recht, den Lohn seiner Frau zu verwalten. Erst das Gleichberechtigungsgesetz, das am 1. Juli 1958 in Kraft tritt, öffnet den Weg dazu, dass Ehefrauen ihre eigenen Vermögensangelegenheiten regeln und damit ein eigenes Bankkonto eröffnen können.

Ich weiß in der DDR war vieles anders und damals besser.
Wer mag mir davon erzählen?
Wenn ich mir die Zahlen so anschaue, wow haben wir schon viel erreicht.
Klar ist noch viel Luft nach oben, aber all diese Sachen waren in meiner Jugend noch Gesetz. Als das Kranzgeld entgültig gestrichen wurde war ich schon 34, Wahnsinn.
Jetzt reicht es für heute mit Merkwürdigkeiten unserer Gesetzgebung. Bis neulich mal wieder
Toni
