Halt dich fest. Egal wer du bist, du hast garantiert welche. Privilegien sind ja per se auch nix schlimmes. Sie sind einfach etwas was dir einen Vorteil verschafft, aufgrund deiner Herkunft, deines Alters, deiner Hautfarbe, deines Namens, Geschlechts, deiner Eltern oder oder oder.
Tausend Dinge für die du absolut nichts getan hast, die aber trotzdem dafür sorgen, dass du einen Vorsprung in bestimmten Bereichen bekommst.
Vorschusslorbeeren sozusagen.
Dafür muss sich auch niemand schämen, nur bewusst machen und verantwortungsvoll damit umgehen, das sollte man schon.
Manchmal sehen wir unsere Vorteile auch gar nicht, wir sind viel zu sehr im Dauerstress und rödeln ohne Pause durch.
Ich soll Privilegien haben? Das will ich sehen
So ähnlich war meine allererste Reaktion als mir das erste Mal jemand sagte ich sei privilegiert. Als ich dann länger drüber nachgedacht habe kam ich doch auf so einiges.
Ich hab viele Privilegien, ich bin weiß, Cis, hab einen deutschen Pass, einen deutsch klingenden Namen, spreche gut deutsch, alle Formulare sind auf mich zugeschnitten.
Ich bin hier geboren und aufgewachsen, gut ausgebildet worden, hatte immer genug zu essen, hab nie Krieg miterleben müssen. Ich lebte mein Leben lang in einem Rechtsstaat, mit Krankenversicherung und guter ärztlicher Versorgung, hab das freie Wahlrecht.
Dadurch öffnen sich für mich viele Türen, die für andere verschlossen bleiben. Genau deshalb, weil ich das sehe, will ich nicht so tun , als wäre mein Weg nur Fleiß und Disziplin gewesen, mein Erfolg nur durch meine Kraft und meinen Willen zustande gekommen.
Da war ein guter Teil Zufall mit drin, und ein System, dass mir eben genau diesen Vorsprung vor anderen ermöglicht hat.
Glückliche Zufälle kannst du nur nutzen, wenn du in der Lage bist, dass sie dir überhaupt über den Weg laufen können.
Ich könnte die Liste jetzt noch massiv fortsetzen, du siehst was ich meine.
Wenn ich meinen Namen in irgend ein Formular schreibe, denk ich nicht mal drüber nach, ob das irgendwie Probleme machen könnte.
Viele haben diesen Luxus nicht. Sowas ist ein Privileg.
Vielleicht wehrst du dich innerlich gegen dieses Wort Privileg, so wie ich es Anfangs ja auch gemacht habe.
Bis mir klar wurde: Privilegiert heißt nicht, dass mein Leben easy peasy war, es heißt nur, dass bestimmte Hürden für mich halt nicht da waren.
Das ich an manchen Stellen durchs Leben geschoben wurde, anstatt blockiert.
Dieser erste Widerstand ist eine Überforderung deines Gehirns, es braucht dann Auszeiten, damit es reflektieren und sich auf die neuen Gedanken einstellen kann.

Dadurch dass ich nicht ständig mit all der Diskriminierung konfrontiert bin, hab ich viel mehr Ressourcen frei, als jemand der ständig gefragt wird „woher kommst du eigentlich wirklich?“, „deine Hautfarbe ist… kannst du das wirklich“.
Bei mir wird das einfach vorausgesetzt dass ich etwas kann. Ich kenne diese Art von Fragen trotzdem auch, im beruflichen Kontext in Richtung „ähm, du als Frau… kannst du das trotzdem?“
Bei mir sind es andere Dinge die für mich Hürden darstellen, weil ich die dafür notwendigen Privilegien halt nicht habe.
Ich bin schon 61, eine Frau, mit Rollator unterwegs, hab einen Schufa Eintrag und nur sehr knappe finanzielle Mittel, keinen reichen Daddy oder vernetzte Verwandtschaft die mir weiterhelfen könnten.
Durch mein Alter, mein Geschlecht, die Behinderung und obendrauf noch die schlechte Schufa hab ich zum Beispiel keinerlei Chancen auf irgendwelche Fördermittel oder Hilfen.
Ich zitiere hier mal aus einem LinkedIn Post den ich leider nicht wiederfinde, sonst hätte ich ihn direkt verlinkt:
Was bedeutet Privileg eigentlich?
„Damit wir alle vom Gleichen sprechen zitiere ich Peggy McIntosh, amerikanische Autorin und Speakerin: „Privilegien existieren, wenn eine Gruppe etwas Wertvolles hat, das anderen einfach wegen der Gruppe verwehrt wird, zu der sie gehören, und nicht wegen irgendetwas, was sie getan oder unterlassen haben.“
Wertvolles heißt in diesem Kontext: Berufschancen, Vermögen – finanziell oder kulturell – Sicherheit usw.
À la „Erklärs mir als wäre ich 5“: Stell dir vor, das Leben ist ein Wettrennen. Privilegien sind ein unsichtbarer Vorsprung, den du bekommst, ohne etwas dafür getan zu haben. Du darfst also ein paar Schritte vor den anderen starten, nur weil du zum Beispiel in einem sicheren Land lebst oder deine Familie genug Geld hat. Andere müssen sich deshalb viel mehr anstrengen, um überhaupt aufzuholen. Wenn du deinen Vorsprung kennst, hilft dir das, fairer zu sein und besser zu verstehen, warum das Rennen für manche schwieriger ist.
Im unternehmerischen Kontext ist das Verstehen des Konzeptes „Privilegien“ und vor allem das Erkennen der eigenen wichtig, um als Verbündete:r den Weg für Veränderung zu ebnen. „
Es gibt ja auch wirtschaftliche Privilegien:
Ein Dienstwagenprivileg, durch das die Bundesregierung vor allem den Kauf von richtig großen Verbrennern bezuschusst, durch Steuern finanziert die auch die alleinerziehende Regaleinräumerin im Supermarkt bezahlt.
Männer bekommen oft mehr Gehalt, einfach weil sie Männer sind.
Menschen mit deutschen Namen bekommen eher Kredit bei der Bank (ok, wenn sie Männer sind haben sie auch hier wieder Vorteile), sie bekommen leichter Wohnungen oder gute Jobs.
Na dann müssen sich die andern halt ein bisschen mehr anstrengen, wo what?
Woher kommt diese Einstellung, diese Angst seine Privilegien abgeben zu müssen? Obwohl es doch, wenn wir es objektiv anschaun, nur ein ausgleichen von Ungerechtigkeit ist. Ist es schlechtes Gewissen, weil wir die Ungerechtigkeit sehen, unseren Vorteil aber nicht abgeben wollen? Angst weil wir glauben dann nicht mehr gewinnen zu können? Müssen wir unbedingt gewinnen?
Schau dir die Frauenquote an, die ja nur helfen soll, das Jahrhunderte alte Privileg der Männerquote von meistens 100% auszugleichen. Da kommen sofort Gegenargumente wie: „Dann kommen ja schlechter qualifizierte Frauen auf die Posten, nur weil sie Frauen sind.“
Tja Freunde, schluckt die bittere Pille.
Bisher waren schlechter qualifizierte Männer auf diesen Posten, nur weil sie Männer waren.
Diese Männerquote wird nicht gesehen, sie ist unsichtbar weil sie so lange als „normal“ galt. Erst durch die Diskussion über Frauenquoten wird diese Normalität sichtbar, und entlarvt sie halt als Privileg, dass Männer seit Jahrtausenden haben. Dein Pech dass du jetzt lebst, wo es halt nicht mehr so normal ist.

Na und, dann hab ich halt ein paar kleine Privilegien
Das bedeutet auch, du hast weniger Stress, dadurch eine längere Lebenserwartung.
Weniger Diskriminierung, bedeutet auch weniger Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Es macht auch was mit uns als Gesellschaft, wer ausgeschlossen wird verliert Chancen, kann keine Impulse geben. Wir verlieren damit so viel, an Kaufkraft, an qualifizierten Arbeitskräften, an Produktivität und großartigen Menschen und ihren Ideen.
Privilegien nutzen oft nur wenigen wirklich, schaden aber sehr vielen, und am Ende uns allen.
Mal Tacheles, warum haben so viele solche Panik wenn es darum geht diese Schieflage auszugleichen?
Ich kann hier mal wieder nur Vermutungen anstellen.
Bei vielen ist es sicher weil ihre Identität daran hängt zu sagen: „Ich bin hier auf dieser gehobenen Position, weil ich so gut bin“, wenn denen dann klar wird: „Mist, ich hatte vielleicht einfach nur die besseren Karten“ fühlen sie sich entehrt, weniger wert.
Andere schämen sich schlicht, wenn sie sich ihre Privilegien einmal ernsthaft anschauen, und dabei dann merken wie unfair sie selbst anderen gegenüber behandelt werden und selbst behandeln.
Teilweise ist es ja auch so ein unsichtbarer Airbag, du bemerkst ihn gar nicht wirklich, wenn aber jemand sagt: „ähm, den solltest du teilen, das ist so nicht ok“ fühlt sich das plötzlich an als ob du dein Leben riskierst damit.
Und klar, unser limbisches System kommt direkt mit Panik um die Kurve wenn die Ratio sagt: Gleichheit ist besser für alle, wenn es fair ist haben alle was davon. Limbisches System: „Panik, Panik, Panik, ich verliere alles, Status, Macht, Schutz, Vorsprung… Panik“
Was gerne übersehen wird
Wer für mehr Gerechtigkeit einsteht bei Privilegien verliert nicht nur, wir gewinnen auch.
Wenn es mehr Gerechtigkeit gibt, weniger Vorteile für einzelne, bedeutet das insgesamt weniger Hass, weniger Gewalt, mehr Stabilität.
Es gibt bessere Zusammenarbeit, mehr Innovationen, weil Vielfalt nicht mehr ausgebremst wird.

Unsere Kinder und Enkel können in einer gerechteren Welt leben, in der sie selbst nicht ständig um Würde und Inklusion kämpfen müssen.
Leider ist das alles sehr abstrakt, langfristig und damit für uns schwer greifbar.
Der Verlust des Vorsprungs ist sehr konkret, sofort spürbar. Genau deshalb kippt es leider immer wieder auf die Seite des Widerstandes gegen die Gerechtigkeit.
Wie könnten wir die Welt trotzdem etwas fairer machen?
Öfter klar stellen, dass Privilegien zu haben nicht „deine Schuld“ ist. Es ist einfach so in unseren Systemen. Fakt.
ABER
Was jede:r einzelne von uns damit macht, das ist unsere Verantwortung, unsere Selbstwirksamkeit (übrigens, das zu reflektieren und dann fair zu handeln fühlt sich richtig gut an)
Wer einmal wirklich bewusst erlebt und reflektiert, wie viel einfacher das Leben ist mit Privileg, der kann schwer wieder zurück in die Illusion dass es ja für uns alle gleich schwer ist und überhaupt hab ich alles selber erarbeitet.
Viele Veränderungen kamen bis heute nicht durch Einsicht, sondern durch Gesetze, Bewegungen und viele Proteste. Also lasst uns laut sein, für Gerechtigkeit.
Übe es, teilen, abgeben, Platz machen, all das muss immer wieder geübt werden, ganz bewusst. Egal ob im Alltag, in Diskussionen und Institutionen. Üben bis es zur Normalität geworden ist.
Kosten der Ungleichheit durch Privilegien
„Ich lasse mir doch kein schlechtes Gewissen machen nur weil andere es angeblich nicht so leicht haben, that´s life“
Ok, dann zeig ich dir mal was dich ganz persönlich und uns alle das kostet, so richtig fett im Geldbeutel, wenn wir nicht dafür sorgen dass es gerechter wird.
Ungleichheit schwächt unser Wirtschaftswachstum, hohe Einkommens- und Vermögensunterschiede wie sie bei uns immer stärker vorhanden sind, führen zu Instabilität in der Gesellschaft (schnapp dir ein Geschichtsbuch und schau nach was hat zu Revolutionen geführt). Quelle
Wenn die Marginalisierten weniger gehört werden, sinkt die Partizipation an der Demokratie immer mehr, die Demokratie bröckelt, auch hier wieder Revoluzz Revoluzz.
Dass genau diese Gruppen dann auch höhere gesundheitliche Belastungen haben, unter chronischem Stress leiden etc, dadurch auch höhere Kosten ans Gesundheitssystem anfallen ist ja nicht wirklich überraschend.

Vorteile von mehr Gerechtigkeit
Wenn wir es hinbekämen die Privilegien etwas gerechter zu machen hätten wir eine höhere gesamtwirtschaftliche Produktivität, ein besseres Bildungssystem für alle und weniger Verschwendung von Potential. Quelle und gesunder Menschenverstand.
Dazu kommt noch, dass Gesellschaften, die inklusiver sind, tendenziell höheren sozialen Zusammenhalt haben und weniger Konflikte. Schont die Nerven und den Staatssäckel, weil Polizei, Rechtssystem und Gesundheitswesen nicht so stark belastet werden.
Ungleichheit und Ausgrenzung hat schon immer zu politischen Spannungen und sozialen Unruhen geführt.
Wie kann ich meine Privilegien nutzen, damit es gerechter wird?
Erst mal hinschauen, sich immer wieder fragen ob das nur für dich so ist oder für alle.
Beobachte genau wo sich für dich Türen öffnen, die für andere geschlossen bleiben und sprich es an.
Wenn du merkst du hast mehr Raum, dann mach auch mal Platz für andere, gib Empfehlungen, leite Chancen weiter, wenn du Zugang dazu hast.
Benutze Sprache ganz bewusst.
Sprich Namen richtig aus!
Mach niemanden „anders“, nur wegen Hautfarbe, Alter, Religion etc.
Schreib und sprich inklusiv (ja auch wenn es oft mühsam ist, glaub mir ich weiß wie mühsam es sein kann, ich hab sogar in Gendern, das Schreckgespenst der Sprache geschrieben)
Hör hin, ich sag es nochmal: Hör hin, wenn dir jemand von Diskriminierung erzählt, relativiere nicht (aber nicht alle….) sondern hör zu und nimm es ernst, glaube was dir erzählt wird, auch wenn du es selbst noch nicht erlebt hast. Nur weil du dir noch nie das Bein gebrochen hast, kann es anderen durchaus passiert sein.
Dazu passt auch der Artikel über Barrierefreiheit
Übernimm Verantwortung auch im Kleinen. Wenn du jemand bist die Bewerbungen durchsehen kann, mache es so gut du kannst bewusst ohne Bias.
Mach in Meetings Stimmen sichtbar, die sonst übergangen werden, ermutige Kinder, Vielfalt als Normalität zu sehen.
Mach Druck im System, unterstütze Quoten (ja wir brauchen sie leider), hilf mit bei Initiativen und mach Druck auf Politiker:innen und Unternehmen um mehr Gleichstellung zu erreichen
Gerechtigkeit beginnt nicht erst im Parlament, sie beginnt am Küchentisch, im Bewerbungsgespräch, in der Schule und im Kommentar unter einem Beitrag in Social Media.
Ein Privileg zu haben ist keine Schande, es nicht zu nutzen um für andere das Leben auch leichter zu machen schon.
Fühlt sich nach viel erhobenem Zeigefinger an heute, ist aber eigentlich nur die Aufforderung wirklich hinzuschauen.
Bis denn dann
Toni vom Café Ruhepol

Wer Lust hat einfach mal ohne jeden Vorsprung mit zu zeichnen, jeden Dienstag um 17.00 gibt es freies Neurozeichnen bei mir